Frauen zahlen mehr als Männer – doch ab 2012 bei Versicherungen Unisex-Tarife
Urteil des Europäischen Gerichtshofs
Die bislang übliche Berücksichtigung des Geschlechts als »Risikofaktor« für Versicherungsbeiträge diskriminiere Frauen und sei deswegen ungültig. Die Branche muss bis spätestens 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife anbieten. Ab dann gilt: Gleiche Leistung für gleiche Prämie.
Frauen haben häufig das Nachsehen
Im Moment haben bei geschlechtsabhängigen Verträgen besonders häufig die Frauen das Nachsehen. Weil Frauen statistisch gesehen einige Jahre älter als Männer werden, zahlen sie zum Beispiel höhere Beiträge für eine private Rentenversicherung. Umgekehrt bezahlen Frauen weniger für die Kfz-Versicherung, weil sie weniger Unfälle verursachen.
Zwar ist die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ein Grundsatz des EU-Rechts, doch bislang gibt es bei Versicherungen Ausnahmeklauseln. So werden Versicherungstarife nach dem statistischen Risiko kalkuliert. Dabei spielt das Geschlecht häufig eine zentrale Rolle.
Eine solche Ausnahmeregel »läuft der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider und ist daher nach Ablauf einer angemessenen Übergangszeit als ungültig anzusehen«, urteilten die Richter des Europäischen Gerichtshofs. Die EU habe sich das Ziel gesetzt, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.
Das Gericht verwies auf die EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004, die geschlechtsneutrale Prämien schon von 2007 an verlange und eine Überprüfung nach fünf Jahren – also Ende 2012 – vorsehe. Für Versicherungen wurden allerdings Ausnahmeregelungen erlassen, die während einer »angemessenen Übergangszeit« gelten sollten. Mit dieser Schonfrist sei es jetzt vorbei, so der Europäische Gerichtshof.
In dem verhandelten konkreten Fall hatte ein belgisches Gericht die höchsten EU-Richter in Luxemburg um Prüfung der Ausnahmebestimmung gebeten.
Kommt es ab Ende 2012 zu Tariferhöhungen?
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat bereits vor Tariferhöhungen gewarnt. Im Schnitt würden die Beiträge steigen, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation eingehe. »Die Versicherer werden fortan gezwungen sein, Ungleiches gleich zu behandeln«, sagt Michael Heinz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute. Die Anbieter müssten künftig in ihre Prämien einen zusätzlichen Risikopuffer einbauen. »Damit werden sich Prämien für die Versicherungskunden verteuern«, so Heinz.
Für Altverträge gilt der Bestandsschutz
Verbraucherschützer begrüßen die geforderten Unisex-Tarife und sehen keinen Anlass für steigende Prämien. Sie verweisen auf die Einführung eines Einheitstarifs bei der Riester-Rente, nach dem die Riester-Beiträge nur maßvoll gestiegen seien. »Nur weil das Merkmal Mann und Frau einfach zu erheben ist, ist das kein Grund dafür, das jeweilige Geschlecht in statistische Sippenhaft zu nehmen«, sagte Gerd Billen, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Es gehe nunmehr darum, die Umstellung zu überwachen, um missbräuchliche Preiserhöhungen zu vermeiden. Die Kontrolle hierüber solle die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht übernehmen.
Wichtig ist festzuhalten: Für alle bislang abgeschlossenen Versicherungsverträge bleibt alles unverändert. Hier gilt der Bestandsschutz. Erst für Neuverträge ab 21. Dezember 2012 gilt das EuGH-Urteil.
Versicherungsexperten raten indes: Männliche Privatkrankenversicherte mit bestehendem Vertrag sollten noch vor der Einführung der Unisex-Tarife prüfen, ob ihre Versicherungsgesellschaft einen günstigeren Tarif anbietet. Denn dann können sie sofort in diesen Tarif wechseln, ohne dass ihre Altersrückstellungen verfallen und sie beim Leistungsniveau Abstriche machen müssen. Dieses Recht regelt der § 204 des Vertragsversicherungsgesetzes. Der Wechsel innerhalb der Versicherungsgesellschaft unterliegt keinen gesetzlichen Kündigungs- oder Wechselfristen und kann jederzeit durchgeführt werden. Versicherte sparen durch den Tarifwechsel bis zu 40 Prozent.
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