Das Sorgerecht steht auch in Österreich auf dem Prüfstand
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat abermals die Diskriminierung lediger Väter gerügt. Die Straßburger Richter gaben am 3. Februar 2011 einem 35-jährigen Österreicher Recht, der vergebens das Sorgerecht für seinen unehelich geborenen Sohn beantragt hatte.
Die Tatsache, dass ledige Väter in Österreich laut Gesetz gegen den Willen der Mütter keine Chance auf ein Sorgerecht haben, verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Das Straßburger Gericht bekräftigte damit eine Entscheidung vom 21. Dezember 2010 (ND-Ratgeber vom 12. Januar 2011). Damals hatte ein lediger Vater aus Deutschland Recht bekommen. Auch er konnte kein Sorgerecht erhalten, weil die Mutter die notwendige Einwilligung versagte.
Bei ehelich geborenen Kindern gilt automatisch ein gemeinsames Sorgerecht auch nach einer Scheidung. Diese Ungleichbehandlung eines ledigen Vaters gegenüber der Mutter und gegenüber verheirateten Vätern bewerten die Richter als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Achtung des Privat- und Familienlebens der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Nach dem österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuch kann der Sorgerechtsantrag eines unverheirateten Vaters nur dann gerichtlich geprüft werden, wenn die Mutter dem zustimmt. Im vorliegenden Fall lehnte die Mutter dies ab.
Der Kläger habe daher keine Chance auf Prüfung seines Antrags erhalten, obwohl er seine Rolle als Vater »von Anfang an eingenommen« habe, rügte der Gerichtshof für Menschenrechte. Er sei somit nicht nur gegenüber der Mutter, sondern auch gegenüber geschiedenen Vätern benachteiligt worden. Außerdem sei das Recht des Österreichers auf Schutz seines Familienlebens verletzt worden.
Der erfolgreiche Kläger bekommt nach diesem höchstrichterlichen Urteil kein automatisches Sorgerecht zugesprochen. Darüber müssen nun österreichische Gerichte befinden.
Da Urteile des EGMR für die 47 Europaratsländer bindend sind, ist Österreichs Regierung aufgerufen, ihre Gesetze entsprechend anzupassen. In Deutschland hat ein ähnliches Urteil des EGMR bereits Folgen gehabt. Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr reagiert und befunden, dass die einseitige Bevorzugung der Mutter gegen das grundgesetzlich geschützte Elternrecht des Vaters verstoße. Also können ledige Väter das Sorgerecht beantragen und auch gegen den Willen der Mutter bekommen. Maßstab ist allein das Kindeswohl.
In den meisten Ländern Europas gilt ein gemeinsames Sorgerecht. Nur in Österreich, der Schweiz und Liechtenstein haben Mütter ein Vetorecht gegenüber dem Recht der Väter. Bei ehelichen Kindern gilt in der Regel das gemeinsame Sorgerecht.
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