Keiner mag einen Streik?

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Na bitte. Nach einer jetzt veröffentlichten Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts (RWI) für Wirtschaftsforschung in Essen hat das höchstrichterliche Kippen der Tarifeinheit – also des Prinzips »ein Betrieb, ein Tarifvertrag« – nicht zu einem Anstieg der Streiks in diesem Lande geführt.

Im Juni letzten Jahres hatten die Richterinnen und Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt entschieden, dass künftig auch mehr als eine Gewerkschaft im Betrieb verhandeln, Tarifverträge abschließen und auch Arbeitskämpfe durchführen kann. Sie haben damit auch juristisch anerkannt, was längst Praxis ist: Tarifpluralität – also die Zusammenarbeit verschiedener Gewerkschaften am konkreten Thema oder auch die Aufteilung in einzelne Berufsgruppen in einem Betrieb, wie es beispielsweise bei Ärzten (Marburger Bund) und Pflegekräften (ver.di) in Kliniken der Fall ist.

Auch ist nicht wie befürchtet eingetreten, dass zuhauf Kleingewerkschaften gegründet wurden, die die ach so gebeutelten Arbeitgeber mit immer höheren Forderungen überziehen. Ohnehin ist Deutschland im internationalen Vergleich ein sehr streikarmes Land. Dass die Erfurter Entscheidung andererseits nicht bedeutet, dass nun unternehmerfreundliche Gewerkschaften eine Lohnspirale nach unten in Gang setzen könnten, beweist die BAG-Entscheidung über die christliche Gewerkschaft CGZP. Ihre Abschlüsse in der Leiharbeit sind nichtig, sie ist nicht tariffähig.

Die RWI-Forscher raten zu Recht von einer Rückkehr zur alten Tarifeinheit ab, schlagen stattdessen Regelungen für bessere Absprachen der verschiedenen Arbeitnehmerorganisationen vor, damit eine Zersplitterung der Tariflandschaft oder wirtschaftlichen Schäden vorgebeugt ist. Zudem ist die von DGB und Arbeitgeberverbänden geforderte gesetzlich geregelte Tarifeinheit als möglicher Eingriff in Streikrecht und Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich bedenklich. Das dürfte auch ein Grund sein, warum der Vorschlag seit Monaten von Bundesministerium zu Bundesministerium und wieder zurück gereicht wird.

Kein Grund also angesichts der Lokführerstreiks, wieder nach der Tarifeinheit zu rufen, wie es dieser Tage nicht nur die Springerpresse tut.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -