Geben und Nehmen in der Eurozone
Der Rettungsfonds wird ausgeweitet / Merkel bekommt Wettbewerbsfähigkeitspakt
Nach einer längeren Nachtsitzung war der Gipfel-Kompromiss für den Euro-Rettungsschirm am Samstagmorgen perfekt: So soll die reale Kreditvergabekapazität des Fonds von derzeit 250 Milliarden auf 440 Milliarden Euro erweitert werden. Dies soll jedoch nach Aussagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hier entgegen den Wünschen ihrer Regierungskoalition Entgegenkommen zeigte, nicht sofort erfolgen. »Die nächsten Fraktionssitzungen von CDU/CSU versprechen spannend zu werden«, stichelte der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Joachim Poß. Einzelne Politiker von CDU und FDP warfen Merkel bereits am Sonntag vor, Beschlüsse der Fraktionen missachtet zu haben.
Darüber hinaus wurde in Brüssel eine Einigung über den Umfang des ab 2013 geplanten permanenten Krisenmechanismus ESM erzielt, der 500 Milliarden Euro umfassen soll. Hier wollen sich die Euro-Mitglieder mit Garantien und Kapitaleinlagen beteiligen. Einzelheiten sollen von den Finanzministern der Mitgliedsstaaten vereinbart werden, die sich heute und Dienstag in Brüssel treffen.
Nach den heftigen Debatten der vergangenen Wochen, bei denen sich vor allem auch die Bundesrepublik quer stellte, soll es zudem möglich sein, mit den Rettungsfondsmitteln Staatsanleihen einzelner Mitgliedsländer zu erwerben – aber nicht von privaten Investoren, wie es die Europäische Zentralbank (EZB) seit Mai vergangenen Jahres tut. Deren Chef Jean-Claude Trichet beeilte sich, dies als temporäre Maßnahme zu deklarieren. Zugleich brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass mit den Entscheidungen des Sondergipfels nunmehr für ausreichend Stabilität im Euroraum gesorgt sei. Auch soll der Zugang angeschlagener Staaten zu den Rettungsfondsmitteln erleichtert werden.
Im Vorfeld des EU-Gipfels Ende kommender Woche stimmten sich die Staats- und Regierungschefs der Euroländer auch auf die Richtung zukünftiger Reformen in ihren Ländern ab, die zu einer besseren Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder führen sollen. Mit ihnen sollen die Beschäftigung gefördert, die Finanzstabilität gestärkt und die öffentlichen Haushalte »tragfähig« gemacht werden. Im Vorfeld hatte vor allem die deutsche Regierung einen verbindlichen »Pakt für Wettbewerbsfähigkeit« gefordert. Im derzeitigen Entwurf der Abschlusserklärung für den EU-Gipfel heißt es jedoch, die Entscheidung über die konkreten politischen Schritte auf diesem Weg verbleiben in der Verantwortung der jeweiligen Länder. Zur »Förderung der Wettbewerbsfähigkeit« sollen zukünftig die Lohnstückkosten der Euro-Länder besser überwacht und verglichen werden. Zu diesem Zweck soll eine »Überprüfung der Lohnfindungsregeln« eingeführt werden, mit der gesichert werden soll, »dass die Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor den auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gerichteten Anstrengungen im Privatsektor förderlich sind«. Konkrete Schritte zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit, wie von deutscher Seite gefordert, sind derzeit nicht geplant. Hierzu heißt es jedoch, bei den Alterssicherungssystemen sei eine »Angleichung der Rentenleistungen an die nationale demografische Situation« förderlich.
Eine gleichfalls von Berlin vor allem mit Blick auf den geringen Körperschaftsteuersatz im angeschlagenen Irland ins Gespräch gebrachte Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung ist offenbar gänzlich vom Tisch. Unverbindlich wird hier lediglich eine »steuerpolitische Koordinierung« angeregt. Kommentar Seite 4
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!