Alfons, Ottokar und andere

KNUT ELSTERMANN über einstige Filmkinder der DEFA

  • Ralf Schenk
  • Lesedauer: 4 Min.

Sein Buch über die Filmkinder der DEFA widmet Knut Elstermann dem »großen Menschenfreund« Thomas Schmidt. Der spätere Professor und Präventivmediziner am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung in Hannover war 1953, im Alter von elf Jahren, als Darsteller für die Figur des kleinen Muck ausgewählt worden. Inmitten von Wolfgang Staudtes farbenprächtigem orientalischem Märchenland spielte sich Thomas Schmidt in die Herzen von Millionen Zuschauern. Noch vierzig Jahre später wurde er zu Vorstellungen des Films eingeladen, besonders im Osten, wo sich die Liebhaber des »Kleinen Muck« um ihn scharten: »Am Leuchten ihrer Augen, an ihrem strahlenden Gesichtsausdruck spürte ich, dass mein Muck für sie ein Stück kultureller Identität war.« Thomas Schmidt starb im Juli 2008 an Leukämie.

Vierzehn Filmkinder stellt Elstermann in seinem Porträtband vor und schlägt damit einen Bogen von den Anfängen der DEFA bis zu ihrem Ende. Charles Knetschke, der später den Geburtsnamen seiner Mutter annahm und als Charles Brauer in vielen »Tatorten« zu sehen war, spielte 1946 die erste größere Kinderrolle in »Irgendwo in Berlin«. Peggy Langner war 1990 in »Rückwärtslaufen kann ich auch« zu sehen, dem einzigen DEFA-Spielfilm über ein körperbehindertes Mädchen, das in einer wenig sensiblen Umwelt um Anerkennung kämpft. Für seine Texte hat sich Elstermann mit allen Porträtierten getroffen, sie nach ihren Lebenswegen befragt: Wie wurden sie fürs Kino entdeckt? Welche Auswirkungen hatte die Filmarbeit auf ihr Selbstbewusstsein, ja auf ihre Biografie überhaupt? Was machen sie beruflich, wie ist ihre familiäre Situation? Und was bedeutet es ihnen heute, einst vor der Kamera gestanden zu haben?

In jenem freundlichen, lockeren Tonfall, den man von Rundfunkmoderator Elstermann gewöhnt ist, umreißt er zugleich die Entstehungs- und Rezeptionsprozesse der Filme. Auf dem Gebiet des Kinderfilms gab es bei der DEFA die deutlichste Kontinuität, wobei Autoren, Dramaturgen und Regisseure nie von ihrem Anspruch abließen, Lebenshilfe zu bieten, Werte zu vermitteln. Rund 150 Kinderfilme sind zwischen 1946 und 1990 in Babelsberg entstanden; insgesamt traten bei der DEFA rund eintausend Filmkinder auf, die zum Teil monatelang gesucht werden mussten. Nur wenige Male wurden Filmkinder ein zweites oder drittes Mal besetzt: Die DDR, so resümiert Elstermann, wollte aus vielerlei Gründen »keine Kinderstars«. Vieles wurde getan, um die Probleme möglichst gering zu halten, die sich aus dem Spagat zwischen Schule, Alltag und Dreharbeiten ergaben: Kinderbetreuer am Set waren die Regel, ebenso gesonderter Unterricht.

Der Autor befragte nicht nur die ehemaligen Filmkinder, sondern auch Eltern, erwachsene Mitspieler oder Regisseure; seine Intention war es, neben der Biografie immer auch ein Stück Zeitgeschichte zu erzählen. So erinnert er an den »Tapferen Schulschwänzer« (1967), den einzigen Spielfilm des Dokumentaristen Winfried Junge, der mit seinem Hauptdarsteller André Kallenbach durch die alte Berliner Mitte streifte, kurz bevor sie der neuen Architektur weichen musste. Peter Welz (»Ikarus«, 1975), der dann selbst Regisseur wurde, schwärmt von seinem großen Vorbild Heiner Carow. In den Porträts von Axel Bunke (»Insel der Schwäne«, 1983) und Vivian Hanjohr (»Erscheinen Pflicht«, 1984) lassen sich noch einmal die politischen Angriffe gegen diese kritischen Jugendfilme nachlesen. Und Nadja Klier, die als »Gritta von Rattenzuhausbeiuns« (1985) zu frühem Filmruhm gekommen war, schildert, wie ihre Familie, ohne es zu wollen, in den Westen abgeschoben wurde: Ihre Mutter, die Theaterregisseurin Freya Klier, war aufgrund ihrer kritischen Haltung zur SED-Politik zur Staatsfeindin erklärt worden.

Wer erfahren will, was aus »Alfons Zitterbacke« (1966) und »Ottokar dem Weltverbesserer« (1977), aus der »Dicken Tilla« (1981) und »Sabine Kleist« (1982) wurde, ist bei Elstermann gut aufgehoben. Und eines der schönsten Porträts gilt Hadiatou Barry, der Tochter eines afrikanischen Vaters und einer deutschen Mutter, die in »Ein Schneemann für Afrika« (1977) zu sehen war. Übrigens fragte der Autor alle Filmkinder auch nach ihrem damaligen Verdienst; meist ist von fünfzig oder sechzig Mark pro Drehtag die Rede, die später in eine Stereoanlage oder ein Motorrad flossen. Nadja Klier erinnert sich, wie empört sie war, »dass Fred Delmare satte 750 Mark pro Drehtag erhielt, obwohl er doch viel weniger ... zu spielen hatte«. Ihr Protest half nichts; und am Ende freute sie sich doch über sagenhafte 2300 Mark Gage, für die sie einen heiß begehrten Kassettenrekorder kaufte.

Knut Elstermann: Früher war ich Filmkind. Die DEFA und ihre jüngsten Darsteller. Das Neue Berlin. 224 S., geb. m. Abb., 19,95 €.

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