Linkes Ja zur Atomkraft

Einst war sie weit verbreitet: die Liebe zur Kernenergie

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Die »Frankfurter Allgemeine« ist erstaunt: Wie selbstverständlich übernähmen CDU- und FDP- Politiker »in der Atomdebatte Ansichten, die noch vor ein paar Tagen als linksradikal gegolten hätten«. Doch nicht immer waren linke und linksradikale Menschen der – angeblich: – »friedlichen Nutzung« der Atomkraft abgeneigt.

Ob auch die lokale DKP den bündnispolitischen Aufruf unterschreiben würde? Der ältere Herr überflog den Flugblattentwurf. »Ja klar, setz' uns auf die Unterstützerliste«, sprach er dann. Verwundert blickte ich auf: »Hey, die DKP ist jetzt auch für den sofortigen, weltweiten Ausstieg aus der Atomkraft?« Sofort und weltweit – drunter machten wir es natürlich nicht. Schließlich, man konnte es wissen, waren die Risiken der Atomkraft auch damals schon nicht beherrschbar. In des DKP-Genossen Kopf rumorte es. Dann erinnerte er sich an die Parteilinie: »Na ja, im Sozialismus, in Volkes Hand finden wir Atomkraftwerke natürlich gut!« Der Kalender an der Wand zeigte den April 1996 an, es war kurz vor dem zehnten Jahrestag der bis dahin größten Katastrophe in der Geschichte der Atomkraft – an die unser Bündnis erinnern wollte. Sie hatte in Tschernobyl stattgefunden. Sie war durchaus nicht das Ergebnis kapitalistischer Profitgier...

Links sein heißt atomkraft-feindlich sein – diese Formel galt nicht immer und überall. Im Gegenteil: Der marxistische Philosoph Ernst Bloch träumte zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts davon, mit nuklearer Hilfe Wüsten zu bewässern und so urbar zu machen. Von einer »strahlenden Zukunft« schwärmte der trotzkistische Vordenker Ernest Mandel. Noch 1994 plädierte Mandel für die »produktive Nutzung der Atomenergie« als eine wesentliche Voraussetzung für die »Emanzipation der Arbeit«. Natürlich sollte die »moderne Technik« unter den »Bedingungen größtmöglicher Sicherheit« genutzt werden...

Auch innerhalb der reformistischen Arbeiterbewegung Westdeutschlands herrschte lange Zeit eine durchaus nicht atomskeptische Haltung. Die damalige IG Bergbau machte in den Siebziger Jahren gegen Atomkraftgegner mobil: »eine wilde Horde verkommener Menschen«, die »sich Naturschützer nennen«, »denen nichts mehr heilig ist«, deren Begleiter »Ratten und anderes Ungeziefer« seien – so wurden Aktivisten gegen den Bau des AKWs Grohnde von Betriebsräten geschmäht.

Im November 1977 riefen alle großen Gewerkschaften ihre Mitglieder zu einer Pro-Atomkraft-Veranstaltung in die Dortmunder Westfalenhalle. 40.000 Proletarier folgten dem Aufruf – und lauschten, als der damalige IG-Metall-Boss Eugen Loderer »die Kerntechnik« euphorisch verteidigte: Dort habe Deutschland eine international führende Position erkämpft. »Dieses technologische Potenzial darf nicht verloren gehen«. Standort Deutschland über alles: Beim Abmarsch sollen dergestalt eingestimmte Arbeiter Atomkraftgegner verprügelt haben.

Derweil versuchte die SPD unter den Kanzlern Brandt und Schmidt, West-Deutschland mit Atomkraftwerken zuzupflastern. So sind alle 17 noch im Betrieb befindlichen deutschen AKWs sind schlicht »SPD-Erbe«. Das es nicht viel mehr sind, verdanken wir der Anti-AKW-Bewegung.

Ausnahmen von der linken Atomeuphorie bildeten insbesondere Kader der so genannten K-Gruppen: maoistische Kleinparteien wie der »Kommunistische Bund« oder der konkurrierende »Kommunistische Bund Westdeutschlands« oder die »Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) versuchten, Einfluss auf die Anti-AKW-Bewegung zu nehmen. Insbesondere der KPD/AO-Aktivist und Atomphysiker Jens Scheer war seinerzeit ein wichtiger Vordenker der Bewegung. So wurde das von Scheer mitverfasste Buch »66 Erwiderungen« (»Zum richtigen Verständnis der Kernindustrie«) damals breit rezipiert. Viele dieser (Noch-)Maoisten strömten später bekanntlich in die grünen, alternativen und bunten Listen, die 1980 in der Grünen Partei mündeten. Nicht immer waren sie dort innerhalb der ökosozialistischen Strömung beheimatet. Doch das ist eine andere Geschichte.

Egal ob »Realsozialisten« oder ihre Gegner, ob undogmatische Sozialisten oder dogmatische Sozialdemokraten – sie alle hatten mehrerlei gemein: Den zeitweiligen Glauben an die Atomkraft. Die Hoffnung, sie möge dem technischen und damit dem sozialen Fortschritt dienen: Emanzipation durch Produktivkraftentfaltung, Produktivkraftentfaltung durch Atomkraft – und das Maß des Wohlergehens sei die Bruttoregistertonne! Mittlerweile scheinen sie alle dazu gelernt zu haben: DKPler, Trotzki-Freaks, Gewerkschaften und Sozialdemokratie geben sich heute atomkraftkritisch, meist sogar gänzlich und grundsätzlich.

Und noch eines eint sie alle: So durchgeknallt wie die Posadaisten waren sie nie. Die post-trotzkistische Sekte, gegründet von Juan Posadas, Leo Trotzkis einstigem Statthalter in Lateinamerika, setzte auf »Arbeiterbomben«. Darunter verstanden sie: Atombomben in Arbeiterhand.

Juan Posadas plädierte für die Revolution mittels Atompilz: »Der Atomkrieg ist unausweichlich. Er wird vielleicht nur die Hälfte der Menschheit zerstören, ganz sicher aber enorme menschliche Reichtümer. ... Aber er wird nicht den Kommunismus verhindern.« Ganz im Gegenteil: »Nachdem die Zerstörung beginnt, werden die Massen sich in allen Ländern erheben – binnen kurzer Zeit, in wenigen Stunden.« Nein, Posadas ging es durchaus nicht nur um die »friedliche Nutzung« der Atomkraft.
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