Die Mona Lisa von Großräschen

Einzigartiges im Lausitzer Seenland: Echte falsche Kunstwerke und ein Seehotel mit halbem See

  • André Micklitza
  • Lesedauer: 4 Min.
Jan Vermeer von Delfts »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« – die Fälschung ist so gut wie das Original.
Jan Vermeer von Delfts »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« – die Fälschung ist so gut wie das Original.

Ein Seehotel ohne See lästerte ein Boulevardblatt Deutschlands noch vor einigen Jahren. Der viele Regen des vergangenen Sommers hatte auch sein Gutes – der künftige Pegel des Ilsesees vor der brandenburgischen Hoteltür steigt schneller als erwartet. Bereits 2014 sollen die ersten Schiffe am Seesteg anlanden können.

Die Randlage des feinen Hauses am einstigen Tagebau bei Großräschen hat noch einen Vorteil: Nachts ist es hier mucksmäuschenstill. »Bis vor wenigen Wochen war manchmal Wolfsgeheul zu vernehmen. Leider wurde Meister Isegrim kürzlich bei Senftenberg von einem Auto überrollt«, erzählt der Hausherr Gerold Schellstede.

1991 verschlug es den damals 50-Jährigen in die Niederlausitz. Die Treuhand hatte ein Möbelhaus im Portfolio, den Oldenburger Unternehmer packte der Ehrgeiz. Schon seit vielen Jahren kunstinteressiert, ließ ihn alsbald eine Reportage in einem Nachrichtenmagazin aufhorchen: In Berlin-Neukölln kupferte ein legales Fälschertrio im großen Stil weltbekannte Gemälde ab. Schellstede suchte den Kontakt, schnell wurde man sich einig.

Fälschermuseum ist bislang einzigartig in Europa

Das 2007 eröffnete Seehotel war von Beginn an als Heimstatt eines Fälschermuseums konzipiert, bislang einzigartig in Europa. In der Galerie im Erdgeschoss, auf den Zimmern, im Restaurant und im Treppenhaus haben sich inzwischen weit über hundert Fälscherwerke angesammelt. »Allesamt Werke der russischen Brüder Posin. Evgeni, Michael und Semjon leben und arbeiten seit den 1980er Jahren in Berlin-Neukölln«, so Schellstede.

Das geniale Handwerk eigneten sie sich auch in der Leningrader Ermitage an, wo sie als Restauratoren tätig waren. So lernten sie, die jeweiligen Maltechniken der Meister exakt zu kopieren und tun dies seither fleißig und gewissenhaft. »Wenn sich Leonardo da Vinci selbst über zwei Jahre Zeit für sein Meisterwerk ließ, so tun das die Posins genauso«, kommt es anerkennend über Schellstedes Lippen.

Besucher können sich kostspielige Reisen in das New Yorker Moma, ins Reichsmuseum Amsterdam, in den Pariser Louvre oder den Madrider Prado sparen – hier in Großräschen sind viele Höhepunkte meisterlicher Malerei fast authentisch, aus nächster Nähe und ganz in Ruhe zu betrachten. Sehr wahrscheinlich schaut einem im Louvre die Mona Lisa – wie dort so auch hier hinter Glas gesichert – nicht allein in die Augen: Exakt wie auf dem Original an der Seine bleibt auch bei der Kopie der Blickkontakt mit der Schönen immer erhalten, wenn der Betrachter seinen Standort wechselt.

Die Fälscher reisten zum Abkupfern sechs Mal nach Paris

»Zweieinhalb Jahre musste ich mich gedulden, bis die in Auftrag gegebene Fälschung meisterlich vollendet war«, erzählt Hotelier Schellstede. »Sie ist wie das Pariser Original auf Pinienholz gemalt, bei uns aber mit rotem Hintergrund, dort prangt sie auf blauem«. Um das weltbekannte Gemälde genauestens kopieren zu können, reiste das Fälschertrio sechsmal nach Paris.

Einst vermochte das Bildnis »Die nackte Maja« die Spanier von der Prüderie zu befreien. Der König hatte ein derartiges Bild verboten, Goya scherte sich nicht darum. Als der Regent die schöne Liegende höchstselbst erblickte, war er von ihr so angetan, dass er die Aktmalerei fortan erlaubte.

An Rembrandts Monumentalgemälde »Nachtwache« malten die drei Brüder gemeinsam drei Jahre. Von Rubens »Krieg und Frieden« existiert nur das Großräschener Bild, das Original selbst gilt als verschollen. »Es hing einst im Reichsmuseum – man bat mich daher schon mehrfach, es nach Amsterdam abzugeben.« Es bleibt jedoch am künftigen Ilsesee.

Die Fälschergalerie führt auch junge Menschen an die Kunst heran. Oft kommen Schulklassen, die sich mit Malblock und Stift an ganz legalen Fälschungen der Fälschungen versuchen.

Dem nach dem Kunstgenuss Hungrigen werden im Restaurant vorzügliche Speisen aufgetischt. Und wer sein müdes Haupt hier betten mag: Am Wochenende gibt's Rabatt.

  • Info: Fälschergalerie im Seehotel Großräschen, Seestr. 88., Einritt 2 Euro, tgl. 9-20 Uhr. Voranmeldung wegen zahlreicher Veranstaltungen empfohlen
  • Tel.: (035753) 69 06 60, www.seehotel-großraeschen.de
  • Anreise: Mit der Bahn über Calau oder über Senftenberg, Umstieg in den Bus Nr. 603 Richtung Altdöbern bis Haltestelle Stadtverwaltung; Mit dem Auto: A 13 bis Abzweig Freienhufen, hier auf die E 96 nach Großräschen.
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