Vom glücklichen Leben im Krater

Der Deutsch-Türke Mustafa düste jahrelang um die Welt, auf den Kapverden wurde er sesshaft

  • Markus Howest
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie durch einen fruchtbaren Garten schlendert er von Baum zu Strauch. Hier ein Apfel dort eine Quitte, eine Papaya, Kongobohne oder Tomate. Selbst beste Weinreben gedeihen hier prächtig – in der Chã das Caldeiras, einem riesigen halbkreisförmigen Felskessel in 1600 Metern Höhe gelegen und mit einem Durchmesser von neun Kilometern. Der Krater unterhalb des Pico do Fogo auf den Kapverdischen Inseln ist die neue Heimat von Mustafa Eren, einem Deutsch-Türken aus Aachen, der seit zwei Jahren mit seiner Frau Marisa und Sohn Sam im gleichnamigen Dorf Chã das Caldeiras lebt, das eigentlich aus den beiden Ortsteilen Portela und Bangeira besteht.

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Stolz zeigt Mustafa, der ehemalige Europameister im Speed-Klettern, auf sein Dorf, in das er sich »bestens integriert« hat, wie er immer wieder bestätigt. Kein Wunder, denn er ist ein wahrer Spezialist im Integrieren: Mustafa spricht acht Sprachen fließend. Auch sein Deutsch ist akzentfrei. In einem ostanatolischen Dorf geboren und aufgewachsen, kam der Kletterprofi nach Deutschland, um Bauingenieur zu werden. Nach dem Studium spezialisierte er sich auf Sicherungsbefestigungen. Sein Wissen führte ihn auf die Kapverden, wo er im Auftrag der Deutschen Entwicklungshilfe die Via Ferrata, den Kammweg oberhalb der Bordeira, jener steilen Felswand, die den Felskessel von Süden nach Westen hin begrenzt, anlegte, ausbaute und sicherte. Ein Einsatz, der sein Leben veränderte – während der Arbeiten lernte er Marisa kennen. Nach anderen Einsätzen rund um den Globus kehrte er ein gutes Jahr später in den Krater zurück.

»Ich fühle mich hier zuhause«, bekräftigt Mustafa. »Der Krater vermittelt Geborgenheit und Freiheit zugleich.« Das sagt einer, der drei Jahre lang Besitzer eines Around-the-world-Tickets war und gratis durch die Welt jettete, um neue Klettersteige auszukundschaften. Doch man glaubt es ihm, wie er leicht und beschwingt über das Lapillifeld, jener kieselgroßen runde Lavabrocken läuft, immer wieder einen neuen Apfel vom Baum pflückt und über das Leben in seinem Krater berichtet.

Am Pico Pequeño hält Mustafa inne, jenem kleinen Krater, der 1995 beim Ausbruch des Vulkans erst entstand. Von seinem Rand aus sieht man tief in den Schlund, aus dem die Lava sprühte. Im Umfeld ist das Lavagestein noch heute so warm, dass ein Knäuel Reisig sofort Feuer fängt. Der Blick wandert hinüber zum Dorf unterhalb der mächtigen Bordeira, vor der die Lavamassen zum Stillstand kamen.

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Mustafa kennt die Geschichte des Ausbruchs aus Berichten seiner Frau. Nachts um zwei sei starker Wind aufgezogen, die Erde begann zu beben. Fluchtartig seien die Bewohner von Chã hinaus auf die Felsvorsprünge der Bordeira geeilt. Alle 1300 Einwohner wurden evakuiert. Erst sechs Monate später seien die ersten zurückgekehrt. Der kleine Ort überstand die Katastrophe weitgehend unversehrt, Verletzte waren nicht zu beklagen, doch die Lava zerstörte einen Großteil der umliegenden Anbauflächen. Für die meisten Rückkehrer bedeutete dies einen Neuanfang. Wie für Marisa. Sie erfüllte sich mit dem Aufbau einer Pension in Chã ihren lang gehegten Traum. Die zehn Zimmer und das Restaurant betreibt sie mit ihrer Schwester und zwei Cousinen. Für seine Frau findet der 39-jährige Athlet eine passende Beschreibung: »Sie ist wie der Krater – vereinnahmt und lässt los, wenn es sein muss. Eine wohltuende Mentalität.

So wie Marisa gilt auch Mustafa im Dorf als Vorbild. Er ist zum Hoffnungsträger für viele junge Männer in Chã geworden. Er übt mit ihnen das Bouldern, das Klettern ohne Seil und Gurt, lehrt sie als Führer auf Tour zu gehen und die Geschichte ihres Pico zu erzählen. Mustafa spricht wie ein Vater über »seine Jungs«. Abends, wenn die Sonne hinter der Bordeira versinkt, steht er mit ihnen vor der Poseida seiner Frau und verteilt Tipps für den nächsten Morgen, wenn sie bei Sonnenaufgang mit Touristen zur Besteigung des Pico, den mit 2829 Metern zweithöchsten Berg im Nordatlantik, aufbrechen. Ein Erlebnis, von dem Mustafa in höchsten Tönen schwärmt. Noch mehr als der Aufstieg begeistert ihn der Abstieg, der bei ihm zur Abfahrt gerät. Mit seinem Snowboard schweift er elegant die 1000 Höhenmeter über das Aschefeld hinab – für den Sportgewandten ein regelrechter Pistenspaß. Andere Pico-Besteiger hüpfen oder rutschen herunter. »Ein Spaß ist es in jedem Fall«, bestätigt Mustafa.

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Zurück ins Dorf führt der Weg vorbei an bizarren Stricklava-Formationen. Im Hintergrund die Lavafelder der letzten Ausbrüche aus den Jahren 1951 und 1995 – die älteren Felder sind dunkler, die jüngeren heller. Im Dorf grüßen die Bewohner scheu bis freundlich. Die niedrigen Häuser aus Naturstein sind einfach gebaut, selten verputzt. So gelten sie als nicht fertig und sind steuerfrei. Auf den Dächern befinden sich kleine Sammelflächen, in denen das wenige Regenwasser aufgefangen wird. »Im September hat es den ganzen Monat geregnet«, sagt Mustafa, »das muss für ein ganzes Jahr reichen.« Im Ort eine Rotkreuzstation, eine Schule und eine Katholische Kirche, die aussieht wie ein kleines Schloss. Die alternative Adventistenkirche gleich gegenüber, etwas weiter die Weinkooperative und am Wegende vor der Abbiegung in den anderen Ortsteil die Bar Ramiro. Eine Institution vor der erhabenen Kulisse des Pico. Hier wird getrunken, gesungen und manchmal auch getanzt. Die Bar eint das Dorf, weil sie beide Ortsteile auf halbem Weg verbindet. Von hier sind es nur noch ein paar Schritte bis zur Poseida Marisa. Die Gastgeberin hat bereits Gemüse von den Feldern der fruchtbaren Vulkanerde geerntet und eine besondere Speise zubereitet. Während Mustafa mit Sohn Sam verschwindet, erzählt Marisa noch mal, wie es war damals in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1995, als erst die Erde bebte und dann sechs Wochen lang die Lava strömte …

  • Casa Marisa, Chã das Caldeiras Fogo, Cabo Verde,
  • E-Mail: amarisa.lopez@gmail.com, www.fogomarisa.com
  • Infos zu Kapverden: www.kapverden.de
  • Reise: Fogo – Genüsse der Vulkaninsel, 4 Tage ab 395 Euro, ONE WORLD Reisen mit Sinnen, Kai Pardon/Marion Heider OHG, Neuer Graben 153, 44137 Dortmund, Tel.: (0231) 58 97 92-0, E-Mail: info@reisenmitsinnen.de
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