Atomausstieg bis 2020 möglich
Ökoinstitut und WWF stellen Modellrechnung mit alternativen Energieoptionen vor
Von einer »menschengemachten Katastrophe« spricht Regine Günther, Leiterin des Bereichs Klima- und Energiepolitik beim WWF Deutschland, angesichts der schrecklichen Ereignisse um die Havarie des japanischen Kernkraftwerks Fuku-shima. »Wir müssen jetzt einen Weg für die Energieversorgung einschlagen, der Menschen gemachte Katastrophen heute und in Zukunft ausschließt«, forderte Günther mit Blick auf die deutsche Atomdebatte.
Felix Matthes, Forschungskoordinator beim Öko-Institut, hat durchgerechnet, wie ein vorzeitiges Ausstiegsszenario hierzulande aussehen könnte. »Der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie ist in Deutschland bis 2020 möglich«, meint der Experte. »Zehn Kraftwerke können sofort abgeschaltet werden, vier Kraftwerke bis 2013 und die verbliebenen drei Kernkraftwerke im zweiten Drittel der Dekade«, fasst er die Ergebnisse seiner Analyse zusammen.
Zur Erreichung dieses Ziels müsste eine Reihe schnell verfügbarer Optionen in den Strommarkt eingebracht werden: Allein rund 8700 Megawatt alternative Leistung seien sehr kurzfristig über die derzeit vorhandenen Stromreserven aufbringbar, rechnet Matthes vor. Dadurch sei die Abschaltung der sieben ältesten Atommeiler und des derzeit nicht betriebenen AKW Krümmel möglich.
Im Verlauf einiger Wochen bzw. Monate könnten nach dem Modell Kraftwerkskapazitäten von etwa 2500 Megawatt durch sogenannte Kaltreserven dazukommen, bei der bereits vorhandene (Kohle-)Kraft- werke für die Stromproduktion wieder verfügbar gemacht werden.
Im Bau befindliche Kraftwerke, deren Fertigstellung als gesichert angesehen werden kann, sollen ab 2013 ebenso in die Energieproduktion eingezogen werden wie die über das sogenannte Lastmanagement von Strom zusätzlich entstehenden Kapazitäten.
Bis zum Jahr 2020 ließen sich nach Matthes' Rechnung schließlich durch den Ausbau von Biogasstromversorgung, Kraft-Wärme-Kopplung und sonstige Gaskraft weitere Kapazität 5000 Megawatt Strom erzeugen.
Unterm Strich wäre nach der Rechnung bei Einbeziehung aller Optionen eine Erzeugung von 21 000 Megawatt bis 2020 möglich – und damit 500 Megawatt mehr als die gesamte installierte Nettoleistung der heute am Netz befindlichen AKW.
Matthes Rechnung zeigt aber auch: Um den Ausstieg schnell durchziehen zu können, müssten vorübergehend alte »Dreckschleudern«, stillgelegte Kohlekraftwerke, wieder hochgefahren werden. Eine Gefährdung der Klimaziele, zu der auch die Reduzierung der CO2-Werte gehört, sieht Matthes darin jedoch nicht. Nach Sicht des Experten reicht das Emissionshandelssystem der EU aus, um den zugelassenen Schadstoffaustausch nach oben zu begrenzen.
Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind nach Matthes Sicht dagegen keine Optionen für den schnellen Ausstieg, da die Kosten eines dazu erforderlichen, enorm schnellen Ausbaus dieser Alternativen schlicht zu hoch wären. Nach der Modellrechnung dagegen hält der Experte die Effekte der AKW-Stilllegungen auf den Strompreis für »ausgesprochen gering«. Er geht von einer Steigerung von maximal 0,5 Cent pro Kilowattstunde aus. Und: »Die gefürchtete ›Stromlücke‹ würde ausbleiben, weil es genügend Alternativen gibt.« Foto: dpa
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