Werbung

Ehrenamt einmal anders

Stuttgart-21-Gegner legen 35 600 Unterschriften für neues Bürgerbegehren vor

  • Barbara Martin, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem Bürgerbegehren wollen Stuttgarter erreichen, dass ihre Stadt aus der Finanzierung für Stuttgart 21 aussteigt. Mit dem Argument, diese Misch-Finanzierung sei laut Verfassung unzulässig, übergaben die Gegner gestern dem Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) 35 600 Unterschriften.

Diesmal wurden die Aktivisten vom Oberbürgermeister empfangen. Vor vier Jahren war schon einmal versucht worden, mittels eines Bürgerbegehrens Stuttgart 21 auf städtischer Ebene zu stoppen. Damals hatte der OB die Unterschriftensammler nicht persönlich begrüßt. Das Begehren war viel mehr per Verwaltungsgericht für unzulässig erklärt worden, und bei den darauf folgenden Kommunalwahlen konnten die Grünen die CDU als stärkste Fraktion ablösen.

Nun also ein zweiter Versuch. Hintergrund diesmal: Nach Ansicht eines Juristen-Arbeitskreises ist die finanzielle Beteiligung der Stadt an S21 verfassungswidrig. Stuttgart hat sich verpflichtet, knapp 239 Millionen Euro zur Tieferlegung des Bahnhofs beizusteuern. Aber laut Grundgesetz Artikel 104 seien derartige Mischfinanzierungen nicht erlaubt, so Anti-S21-Jurist Bernhard Ludwig. Bundesprojekte müssten ausschließlich vom Bund bezahlt werden.

Als die S21-Gegner das neue Bürgerbegehren vor fünf Wochen angekündigt hatten, warf OB Wolfgang Schuster (CDU) den Unterschriftensammlern »Täuschung der Bürger« vor. Als sie gestern die 17 Aktenordner mit Unterschriftenlisten übergaben, erklärte der Jurist Schuster, warum er so sauer reagiert habe. Es gehe schließlich nicht um eine politische, sondern um eine rechtliche Frage. »Ich halte es für verfassungsgemäß, dass wir mitfinanzieren. Ihre Position sagt, bei einer rechtlichen Prüfung käme heraus, dass unsere Verträge nicht rechtens sind. Das hätte zur Folge, dass wir nicht bezahlen dürfen oder müssen. Das ist doch unabhängig von Unterschriften. Und Sie glauben doch nicht, dass ich etwas bezahle, was ich nicht bezahlen darf.« Laut Schuster hätte man die Rechtsfrage doch im Gespräch und eventuell mit einem dritten Gutachter klären können. Gutachten in jeweils ihrem Sinne haben natürlich beide Seiten. Und so erklärte Rechtsanwalt Ludwig dem OB, man brauche den Antrag auf das Bürgerbegehren, damit die Verfassungsfrage gerichtlich geklärt wird.

Nun wird zunächst das städtische Rechtsamt prüfen, ob alle Unterschriften korrekt sind. 20 000 wären notwendig, gesammelt wurden 35 600. Voraussichtlich im Mai dürfte das Amt die Auffassung äußern, das Bürgerbegehren sei nicht zulässig. Entscheiden aber muss das der Gemeinderat. Dort sitzt eine Mehrheit aus CDU, SPD, FDP und Freien Wählern – S21-Befürworter –, und die schließt sich wahrscheinlich dem Rechtsamt an. Dann würden die Unterschriftensammler vor Gericht ziehen. Die Frage, ob das Bürgerbegehren zulässig ist, dient also letztlich nur der höchstrichterlichen Feststellung, ob die finanzielle Beteiligung der Stadt an dem Bahnprojekt verfassungsgemäß ist.

Sollte am kommenden Sonntag bei der Landtagswahl eine grün-rote Mehrheit zustande kommen, könnte es natürlich sein, »dass die SPD im Gemeinderat sich bewegt«, meint Wolfgang Wölfle, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat. Doch sollte eine Mehrheit im Rat für die Zulassung des Bürgerentscheids sein, dann wird wohl die Stadtverwaltung dagegen klagen – wieder müsste das Gericht sich mit der Verfassungsmäßigkeit befassen. Wölfle begrüßt das: »Diese Frage, ob Kommunen – und dann auch das Land – sich an Projekten des Bundes finanziell beteiligen dürfen, interessiert ja bundesweit. Es wäre gut, wenn das mal geklärt wird.«

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!