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Lebensfeindliche Kirche?
Claus Schiffgen über die Folgen des Zölibats für Priester / Der Religionslehrer ist Vorsitzende der »Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen«
ND: Im Drama »Am Kreuzweg«, das kürzlich im Fernsehen lief, gerät ein Priester in einen Konflikt mit dem Zölibat und droht am Zwiespalt zwischen weltlichem und kirchlichem Leben zu zerbrechen. Wie war Ihr Outing?
Schiffgen: Wie im Film auf der Kanzel, am Ende meines letzten Gottesdienstes. Ich habe mich nicht heimlich aus der Verantwortung gestohlen, wie mein Bischof es gern gehabt hätte. Deshalb kann ich den Menschen in der Gemeinde heute auch begegnen; das hätte ein fluchtartiger Abschied unmöglich gemacht.
Wie viele Priester gibt es in Ihrer Vereinigung?
Für Priester im Amt wäre das Risiko, in ihrer heimlichen Beziehung entdeckt zu werden, zu groß, als dass sie sich organisierten. Deshalb bestehen wir fast ausnahmslos aus suspendierten Priestern und ihren Familien.
Bei denen der zentrale Punkt des Films wegfallen dürfte: Angst vor der Kirche.
Schon, aber sie geht weiter, wenn sich Priester eine neue Existenz aufbauen müssen. Bis man mit 40 vom Zölibat dispensiert werden kann, ist man weder Kleriker noch Laie. Ich musste vier Jahre warten und bin dann Religionslehrer im Bistum Mainz geworden. Ein Glücksfall. Denn als Priester war das Leben ein goldener Käfig: Rundum versorgt, großzügige Dienstwohnung, Steuerprivilegien, soziales Ansehen, Arbeit und Rente sicher – das sind herbe Verluste. Außerdem verlieren wir unseren Beruf als Theologe.
Und damit die Berufung.
Oft. Aber ob jemand aus Berufung Priester wird oder wegen seiner privaten Probleme, prüft die Kirche ebenso wenig wie die Eignung fürs zölibatäre Leben. So entstehen Situationen, die den Pflichtzölibat in Frage stellen. Die Kirche sollte akzeptieren, dass Priester Menschen sind, die sich weiterentwickeln und dazulernen. Wenn sie sich aufgrund gewachsener Einsicht und Reife um eines ehrlicheren Lebens willen gegen den Zölibat entscheiden, sollte man sie also in Würde entlassen und ihnen eine Chance zum Neuanfang gewähren, statt sie als Abtrünnige mit Verächtlichkeit zu strafen.
Die emotionale Kälte des Bischofs im Film, ist die glaubhaft?
Leider ja. Viele Bischöfe legen jede Nächstenliebe ab. Mein Bischof hat mich von einer Sekunde auf die andere nur noch formal behandelt. Auch aus dem Grund hätte es das Zölibatsgesetz nie geben dürfen, weil es nicht weniger ist als eine Vergewaltigung jener Priester, die es lediglich in Kauf genommen haben.
Ein Selbstbetrug.
In der Tat. Und durch ihn haben Priester nicht – wie Befürworter des Zölibats gern argumentieren – mehr Kraft für die Gemeinde, sondern verwenden sie darauf, ihre Einsamkeit zu kompensieren. Die heimlichen Beziehungen mit verschwiegenen Kindern, hin und her gerissen zwischen der Liebe zu einem Menschen und zu Gott – das wäre beim freiwilligen Zölibat passé. So aber bleibt das Priesteramt auch ein Zufluchtsort für viele, die ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Körperlichkeit mitbringen. Mit allen Konsequenzen.
Sie spielen auf die Missbrauchsfälle an.
Der Zölibat verursacht diese nicht, aber er begünstigt diejenigen, die eine entsprechende Neigung haben, indem sie diese im Mantel der Ehelosigkeit besser als sonst verstecken können und zudem durch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Gemeinden Zugang zu potenziellen Opfern haben.
Interview: Jan Freitag
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