Herausforderung für Heime
Geistig Behinderte im Alter
Hildegard Borchers zeigt das großzügige Bad in ihrer Wohngemeinschaft. An den Wänden laufen Haltegriffe entlang, in der Dusche hängt ein breiter blauer Sitz für die Bewohner. Hildegard Borchers ist 79 Jahre alt und geistig behindert. Sie lebt im Paritätischen Regenbogenhaus in Magdeburg. Immer mehr Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland benötigen im Alter Betreuung. Dass die Zahlen steigen, liegt auch an der besseren medizinischen Versorgung, der Ernährung und der Hygiene.
Wie viele alte geistig behinderte Männer und Frauen in Deutschland leben, wird nicht erfasst. 2003 waren rund acht Prozent der Bundesbürger anerkannte Schwerbehinderte, von diesen 6,6 Millionen Menschen waren 74 Prozent älter als 55 Jahre, so das Statistische Bundesamt. Das Familienministerium forderte auf dieser Zahlenbasis bereits 2006 in seinem Heimbericht, geeignete Wohnangebote für diese Menschen zu schaffen. Pflegebäder, Handläufe, Aufzüge, rutschfeste Böden, Hebelifter und rollstuhlgerechte Ausstattung für die immer älter werdenden Bewohner der Heime sind mittlerweile Standard.
»Bei der Ausstattung sehe ich keinen Handlungsbedarf«, sagt Gerhard Ackermann, der das Behindertenwohnheim Regenbogenhaus leitet. Zentral ist für ihn derzeit vor allem die Weiterbildung der Mitarbeiter. »Wir müssen viele Fortbildungen machen zum Thema Demenz, zu Sterbebegleitung und zum Umgang mit Menschen im höheren Lebensalter.« Trotzdem reichen die Kräfte in seinem Haus manchmal nicht aus für die 14 Bewohner, die älter sind als 60 Jahre. Dann holt sich Ackermann externe Hilfe durch Pflegedienste.
Spezielle Heime, ausschließlich für ältere Menschen mit Behinderung werden in Deutschland wohl die Ausnahme bleiben. Die Bundesregierung schrieb schon 2006: »Stationäre Einrichtungen sind nur ein Teil des Spektrums vielfältiger Wohnformen (z. B. Wohnstätten, Außenwohngruppen) für behinderte Menschen.« Die bestehenden Betreuungseinrichtungen sollten sich also auf die Älteren einstellen und zum Beispiel ein adäquates Freizeitprogramm organisieren. Im Magdeburger Regenbogenhaus gibt es Hocker-Gymnastik, Sitztanz, Begegnungen mit Hunden und Klangmassage. »Viele Einrichtungen sind allerdings noch gar nicht auf die alten Behinderten vorbereitet«, sagt Matthias Konrad von Contec, einer Unternehmensberatung in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft.
Ein strukturiertes Tagesprogramm ist wichtig für die älteren Behinderten, viele von ihnen haben zuvor in Behinderten-Werkstätten gearbeitet. »Das war ihr Lebensmittelpunkt«, sagt Achim Backendorf vom Sozialverband VdK. Die Arbeit in der Werkstatt habe nicht nur für einen klaren Tagesablauf gesorgt, sondern dort hätten sie auch die meisten Sozialkontakte gehabt und Bestätigung erhalten. »Sie hatten das Gefühl, gebraucht zu werden«, sagt Backendorf.
Das bestätigt die Heilerziehungspflegerin Martina Garz. »Diese Menschen betrachten sich mehr als Arbeitslose denn als Rentner. Wenn sie keine Aufgabe mehr haben, fühlen sie sich minderwertig und nutzlos.« Die Behinderten im Haus Schmeilsdorf in Mainleus (Bayern), die die 23-Jährige betreute, wurden nur am Morgen und am Abend einige Stunden im Heim betreut. Tagsüber gingen sie in die Werkstätten, wobei die Behinderten nach dem Eintritt in die Rente oft alleine zurückblieben. »Sie bekommen dann ein Telefon oder ein Handy, um anzurufen, wenn etwas ist«, sagt Garz. Hildegard Borchers begann, für alle in ihrer Wohngemeinschaft zu kochen. »Das Essen, das hier kommt, ist unter aller Kanone», beschwert sie sich. Nun bereitet sie Kartoffelsalat und Buletten für ihre Mitbewohner zu, auch den Tisch deckt sie selbst.
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