»Bonsoir, Ihr Lieben!«

Thüringen feiert den 200. Geburtstag von Franz Liszt, bei dessen Konzerten die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 8 Min.

»Der Champagner floss in Bächen« schrieb Robert Schumann am 25. November 1841 in sein Tagebuch, nachdem er erstmals Franz Liszt getroffen hatte. Die Begegnung fand im Hotel »Russischer Hof« statt, wo Liszt während eines Konzertaufenthalts in Weimar wohnte. Auch als er sieben Jahre später in die Stadt zog, um als Hofkapellmeister die Leitung der Oper zu übernehmen, traf sich Franz Liszt hier häufig und gern mit Freunden zu nächtelangen Diskussionen und ausschweifenden Schlemmerorgien. Stets empfing er seine Gäste mit offenen Armen und dem Ausruf »Bonsoir, Ihr Lieben!«.

Wer heute das Hotel betritt, stolpert schon im Eingang über den Maestro – über eine in den Boden eingelassene Plakette mit dem Willkommensgruß des Künstlers, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr in Weimar und vielen anderen Orten Thüringens ausgiebig gefeiert wird. Unter dem Motto »Franz Liszt 1911-1886. Ein Europäer in Thüringen« sollen mehr als 200 Veranstaltungen den Komponisten, Pianisten, Dirigenten, Lehrer, Musikwissenschaftler und leidenschaftlichen Visionär in allen Facetten zeigen.

Großherzogin Maria Pawlowna war es, die den damals schon berühmten Klaviervirtuosen und Komponisten Franz Liszt 1841 als Hofkapellmeister nach Weimar holte. Dass dann die Residenzstadt von 1848 bis 1861 zum Lebensmittelpunkt des »Superstars des 19. Jahrhunderts« wurde, ist ebenfalls einer Frau zu verdanken – der Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein. Liszt hatte die unglücklich Verheiratete ein Jahr zuvor auf einer Konzertreise in Kiew kennengelernt. Sie reichte die Scheidung ein, und im Frühjahr 1848 flüchteten die Verliebten ins Ausland, wo sie bei einem Freund gemeinsam mit Carolynes Tochter Marie ein paar glückliche Wochen verbrachten. Von dort reisten sie nach Weimar, in der Hoffnung, Maria Pawlowna – die Schwester des russischen Zaren – könnte sie bei der Scheidungsklage unterstützen. Wegen des Geredes zog Liszt zunächst offiziell in ein Hotel, die Fürstin mit ihrer Tochter in die Altenburg, ein geräumiges Haus außerhalb des Stadtzentrums.

Die Altenburg avancierte sehr schnell – wie einst Goethes Haus am Frauenplan – zum Zentrum des intellektuellen Austausches von Künstlern und Kulturinteressierten aus dem In- und Ausland, wobei sich Liszt und seine gebildete Freundin als hervorragende Gastgeber zeigten. Richard Wagner, Hector Berlioz, Johannes Brahms, der Architekt Gottfried Semper oder die Dichter Friedrich Hebbel und Hoffmann von Fallersleben gehörten zu den gern gesehenen Gästen. Auf der Altenburg fand Franz Liszt nach jahrelangen rastlosen Konzertreisen durch Europa auch endlich die immer ersehnte Ruhe, um sich intensiver seiner kompositorischen und musikschriftstellerischen Arbeit zu widmen. Außerdem diente ihm das Haus auch als eine Art Schutzburg gegen das piefige Kleinbürgertum Weimars, das Liszt öffentlich als ein Volk von »Schafsköpfen« bezeichnete, was ihm glattweg einen Prozess einbrachte. Dennoch fühlte er sich von dieser Stadt, deren künstlerischer Tradition, die aufs engste mit Goethe und Schiller verbunden war, wie ein Magnet angezogen.

Wie zu Zeiten ihres berühmten Bewohners ist die Altenburg jetzt wieder eine Begegnungsstätte. Die einst von Liszt als Orchesterschule angeregte Hochschule für Musik, die seit 1956 seinen Namen trägt, sowie die 1989 gegründete Franz-Liszt-Gesellschaft e. V. nutzen das Haus als Forschungsstandort und Begegnungsstätte für Künstler aus aller Welt.

Zog der 1811 im ungarischen Doborjan (heute Raiding im österreichischen Burgenland) Geborene erst als musikalisches Wunderkind durch die Konzertsäle der Welt und später als Superstar, bei dessen Auftritten die Frauen reihenweise in Ohnmacht fielen, so führten ihn die Reisen in seiner Weimarer Zeit eher ins nähere thüringische Umland. Gern und häufig war er im nur fünf Kilometer von Weimar entfernten Dennstedt, wo er 1854 den Kantor Alexander Wilhelm Gottschalg kennenlernte, mit dem ihn schon bald eine tiefe Freundschaft verband. Der Dorfkantor lehrte die Kinder nicht nur Lesen und Schreiben, sondern jedes auch zwei Instrumente und Noten lesen. In einem solchen musikalischen Ort fühlte sich Liszt wohl. Als die Kirche 1859 eine Orgel erhielt, begannen die Freunde mit stundenlangen Privatkonzerten und »Orgelconferenzen«. Liszt schuf für das im Ton von samtig-einschmeichelnd bis raumfüllend-donnernd wandlungsfähige, klangschöne Instrument drei Bachtranskriptionen. Seine gesamten Orgelwerke füllen zehn dicke Bände.

Die Dennstedter Liszt-Orgel geriet irgendwann in Vergessenheit wie die Kirche, die bis 1980 immer weiter verfiel. In jenem Jahr entdeckte eher zufällig der junge Organist Michael von Hintzenstern das wertvolle Instrument wieder, das glücklicherweise noch im originalen Zustand war. Es war Liebe auf den ersten Blick, sagt Hintzenstern heute, »seit 30 Jahren bin ich mit der Orgel glücklich verheiratet«. 1981 lud der Kirchenmusiker erstmals zu Benefizkonzerten ein, er wollte Orgel und Kirche neues Leben einhauchen und ging dafür auch ungewöhnliche Wege. Hintzenstern schrieb an den legendären Yehudi Menuhin, der 5000 Dollar für die Sanierung spendete. Bis 1989 dauerte es, ehe die Kirche wieder so aussah, wie zu Zeiten, als Liszt und Gottschalg hier musikalische Zwiegespräche führten. Heute ist die Dorfkirche mit ihrer Orgel – deren Sanierung im Mai abgeschlossen wird – ein Anziehungspunkt für Besucher aus dem In- und Ausland, und in diesem Jahr ganz besonders. Wenn Michael von Hintzenstern und seine »Geliebte« das Kirchenschiff mit schönsten Klängen füllt, sitzt Liszt gewissermaßen neben ihm auf der Orgelbank.

Mindestens zwölf Mal war Franz Liszt in Sondershausen, es ist bis heute der einzige Ort Deutschlands, wo das vollständige symphonische Werk des Künstlers noch zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde. Im Juni kann man sich hier gleich drei Mal ein ganz besonderes Bonbon auf der Zunge zergehen lassen: Die einzige Oper, die der Künstler als 13-Jähriger komponiert hat, »Don Sanche oder Das Liebesschloss«.

Im prächtigen Barocksaal des Schlosses gibt der Sondershausener Pianist Ronald Uhlig am 1875 gebauten und nun restaurierten Liszt-Flügel eine Kostprobe der Musik seines großen Vorbilds. Der Flügel heißt nicht so, weil der Meister selbst auf ihm spielte, sondern weil er das noch heute gebaute Modell durch seine temperamentvolle Spielweise gewissermaßen initiiert hat. Liszt soll nämlich so energisch und leidenschaftlich in die Klaviertasten gehauen haben, dass er mehrere Flügel regelrecht zerlegt hat. Bösendorf baute deshalb ein Instrument mit verstärktem Rahmen, das den Namen Liszt-Flügel erhielt.

In Sondershausen soll es sich auch zugetragen haben, dass das Zimmermädchen Sophie aus dem Hotel »Erbprinz«, das unbedingt Sopranistin werden wollte, dem verehrten Meister vorsang, als er mal wieder Gast dort war. Der, nicht so begeistert, soll Sophie geraten haben: »Heiraten Sie bald mein Fräulein, Adjö!« Bis heute erzählt die verhinderte Operndiva die Geschichte – immer an ihrem Geburtstag, wenn sie aufersteht, und Besucher durch das Schloss führt.

Auf der Wartburg war Liszt so von den Fresken in der Elisabeth-Galerie angetan, dass sie ihn zur Komposition seines Oratoriums »Legende der heiligen Elisabeth« anregten. Auf seine Anweisung hin wurde vor der von ihm dirigierten Uraufführung 1867 im Sängersaal die Decke verändert, um eine bessere Akustik zu erhalten. Allen Skeptikern zum Trotz sollte er Recht behalten.

Die Weimarer Jahre gingen ins Land, noch immer waren Franz und Carolyne fest entschlossen, zu heiraten, wenn die Fürstin endlich geschieden wäre. Erst 1860 erhielt sie das lang ersehnte Papier, doch noch bedurfte es der Zustimmung des Papstes, weswegen die Fürstin nach Rom reiste. Als sie ihm Monate später mitteilte, endlich frei zu sein, löste Liszt den gemeinsamen Hausstand auf und verließ am 17. August 1861 Weimar, um zu heiraten. Am Abend vor der Hochzeit zog die Kirche ihr Einverständnis zurück. Auch unter Druck der Familie verzichtete Carolyne auf die Ehe, Liszt fügte sich zähneknirschend. Die Beziehung hielt zwar bis zu Liszts Lebensende, kühlte aber zunehmend ab.

Er kehrte 1869 nach Weimar zurück, wo er bis zu seinem Tode im Sommer lebte, die übrige Zeit des Jahres aber in Rom oder Budapest verbrachte. Liszt wohnte in der ersten Etage des 1798/99 errichteten Gebäudes der Hofgärtnerei am Park an der Ilm. Hier unterrichtete er jungen Pianisten unentgeltlich. »Liszts Unterricht war eine Offenbarung«, erinnerte sich sein Schüler Frédéric Lamond.

Franz Liszt starb am 31. Juli 1886 in Bayreuth, wo er seine Tochter Cosima – eines von drei Kindern aus seiner früheren Ehe mit Marie d'Agoult – besuchte, die seinen drei Jahre zuvor verstorbenen Freund Richard Wagner geheiratet hatte. Cosima setzte ihn auf dem Bayreuther Städtischen Friedhof bei.

Liszts Wohnung in Weimar ließ man unverändert mit dem Ziel, dort eine Erinnerungsstätte an den Künstler einzurichten. Den umfangreichen Nachlass erbte seine in Rom lebende langjährige Lebensgefährtin, die Liszt aber nur ein Jahr überlebte. Ihre Tochter Marie übergab den Nachlass dem Haus in Weimar, das am 24. Juni 1887 als Lisztmuseum eröffnete. Anlässlich des 200. Geburtstags des Künstlers wurde es nun grundlegend saniert. Seit dem vergangenen Montag ist es für Jedermann wieder geöffnet.

Wann, was, wo?

  • Höhepunkt im Thüringer Veranstaltungskalender ist die Landesaussstellung »Franz Liszt – Ein Europäer in Weimar«, die vom 24. Juni bis 31. Oktober im Schiller-Museum und Schlossmuseum Weimar stattfindet. Im Hof des Schlossmuseums können Kinder im Inneren eines überdimensionalen Klaviers erfahren, wie Töne entstehen.
  • »Überlisztet« heißt das Mussik-Festival vom 18. Juni bis 9. Juli in Weimar, Meiningen, Sondershausen, Eisenach und Erfurt.
  • Bei speziellen Stadtführungen kommt man dem Künstler ganz nah. In Sondershausen plaudert beispielsweise das Zimmermädchen Sophie über ihre Begegnung mit Franz Liszt.
  • »Franz Liszt und die Wartburg« heißt eine Sonderausstellung vom 4. Mai bis 31. Oktober auf der Wartburg.
  • Das ganze Jahr über finden zahlreiche Orgelkonzerte in der Dennstedter Kirche statt. Termine: www.lisztorgel.de

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