Ein Lehrpfad und die ganze Wahrheit

Die Geschichte eines verschwiegenen KZ

  • Marianne Walz
  • Lesedauer: 3 Min.
Durch das Gelände des ehemaligen KZ in Mörfelden-Walldorf in Hessen führt ein Erinnerungspfad, der sein Bestehen einer Initiative der örtlichen DKP-Gruppe verdankt. Längst nutzen städtische Gremien, Vereine und kommunale Repräsentanten die heutige Gedenkstätte, um die jüdischen Opfer zu ehren. Die Entdecker des geschichtsträchtigen Ortes setzen sich jetzt dafür ein, dass das Gedenken auch die vollständige historische Wahrheit widerspiegelt.

Bei Walldorf, rund drei Kilometer südöstlich vom Airport Frankfurt am Main, befand sich von August bis Oktober 1944 ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof. Von hier wurden unter grausamsten Bedingungen 1700 jüdische Zwangsarbeiterinnen zu Arbeiten an der Start- und Landebahn des Frankfurter Militärflughafens getrieben. An ihr Leid erinnern 16 Informationstafeln am Ort des Terrors, der entsprechende Lehrpfad war im Jahr 2000 eröffnet worden.

Als Initiatoren gelten Alfred J. Arndt, Herbert J. Oswald und Gerd Schulmeyer. In den 70er Jahren hatten die Drei – damals Mitglieder der Jugendorganisation SDAJ – zielstrebig gesucht, berichtet der heute 61-jährige Arndt. Angeregt fühlten sie sich damals von den Erinnerungen des KPD-Veteranen Wilhelm Passet. Die Verbindung eines Mörfelder DKP-Genossen in die Erfurter SED-Bezirksleitung ermöglichte den Jugendlichen schon 1972 unkomplizierte Einreisen in die DDR mit Besuch der Gedenkstätte Buchenwald. Dort zeigte eine Schautafel: In Walldorf lag ein KZ, und fast 30 Jahre lang war das daheim kollektiv beschwiegen worden!

Probleme mit der CDU

Alfred J. Arndt gehört als Stadtrat zu den Aktiven der DKP im heutigen Mörfelden-Walldorf. Und er forscht beharrlich weiter, ebenso wie Gerd Schulmeyer, Jahrgang 1951, der der Groß-Gerauer Kreistagsfraktion »Die Linkspartei / Offene Liste« vorsteht, und Herbert J. Oswald, Jahrgang 1958. Eine Serie von Öffentlichkeitserfolgen setzte 1978 ein, nachdem ihre Dokumentation »Spuren des Terrors« vom örtlichen DKP-Blatt »blickpunkt« herausgegeben worden war.

Die SDAJ-ler hatten zuvor mehrere jüdische Walldorf-Überlebende in Israel ermittelt, aufgesucht und befragt. Nun meldeten sich bestätigend auch einheimische Zeitzeugen. »Eine Trendwende hatte sich vollzogen«, erzählt Arndt. »Die US-Fernsehserie ›Holocaust‹ löste bundesweit ein breites Echo aus, und bei uns im Rathaus sprachen nach der Veröffentlichung im ›blickpunkt‹ reihenweise in- und ausländische Journalisten vor, um sich nach dem hiesigen Zwangsarbeitslager zu erkundigen.«

Die CDU-Fraktion habe 1980 einem Gedenkstein nur zustimmen wollen, wenn auch Kommunismusopfer darauf genannt würden, berichtet Arndt. »Unter dem Eindruck des internationalen Presseechos, in dem stets ›drei junge Kommunisten‹ vorkamen, setzten wir uns jedoch durch mit der Inschrift ›Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg‹. Ab da und besonders seit 1990 nahmen sich unsere städtischen Gremien sehr rührig der Ehrung für die jüdischen Zwangsarbeiterinnen an. Die Einrichtung des Gedenkpfades war von breiter Zustimmung getragen.«

Eingeschränkte Sicht

Ein Erfolg? Arndt bejaht, doch misstraut er dem Super-Konsens. »Den Zeitzeugen Wilhelm Passet habe ich oft von russischen Zwangsarbeitern reden hören. Wir aber hatten die Geschichte von 1700 Frauen aufgedeckt. Diese Geschichte ist unvollständig.« Im Jahr 2007 begannen die Forscher, die Lücke zu füllen. Bald hatten sie Belege, dass es in Walldorf noch vier kleinere Lager gab, in denen zwischen 1941 und 1945 vermutlich 700 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und anderen überfallenen Ländern arbeiten mussten.

Für diese heimatgeschichtlichen Forschungen jedoch, so Arndt, bleibe die städtische Unterstützung aus, werde die Arbeit ignoriert, gar blockiert. Die Erklärung liegt für ihn auf der Hand: »Der Gesichtspunkt des imperialistischen Raubmords soll verborgen bleiben. Bequemer ist, den Faschismus auf den Rassenhass der Nazis gegen die Juden zu verkürzen. Inhaftierte Arbeitssklaven und Widerständler aus der Arbeiterbewegung stören das Bild.«

Die publizistische Antwort hat Arndt überschrieben mit »Ich freue mich, dass Sie mich nicht vergessen haben«. Damit zitiert er Nikolaj Grigorjewitsch Sapaj. Der 85-jährige Ukrainer ist einer von zwölf nichtjüdischen ehemaligen Zwangsarbeitern, deren Spur Arndt und seine Mitstreiter fanden. Sapajs Erinnerungen hat er gemeinsam mit den Naturfreunde-Aktivisten Ernst Knöß, Isabelle Girardin-Knöß und anderen Beteiligten für das Gedächtnis der Stadt Mörfelden-Walldorf festgehalten.

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