Libyen-Konferenz ohne Libyer

Londoner Treffen drängt auf Gaddafis Abgang

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Während die NATO morgen früh das Kommando über alle internationalen Militäroperationen in und um Libyen und damit auch über die Luftangriffe auf die Truppen von Muammar al-Gaddafi übernimmt, berieten die Außenminister aus über 40 Staaten mit Vertretern des Nordatlantik-Paktes, der UNO und der Afrikanischen Union am Dienstagnachmittag in London über den Krieg und die Zukunft des nordafrikanischen Landes.
Sie nennt sich politische Kontaktgruppe für Libyen. Und man drängte auf arabische und afrikanische Teilnehmer bei ihrem gestrigen Treffen, um den Eindruck eines rein westlichen Militäreinsatzes zu verwischen. Vertreter des Widerstands gegen Gaddafi jedoch fehlten am Londoner Konferenztisch, wo über die Zukunft Libyens beraten werden sollte. Mahmud Dschibril, Sondergesandter des Nationalen Übergangsrates, durfte nicht an den offiziellen Verhandlungen teilnehmen und musste sich mit Gesprächen am Rande des Treffens begnügen.

Zu fragen ist auch, was die Kommandoübernahme durch die NATO nun bedeutet. Bislang agierten die Kampfjets der »Koalition der Willigen« als Luftstreitkräfte der Aufständischen. Ihre Angriffe sollten nach Einschätzung von Alain Délétroz von der International Crisis Group in Brüssel zugleich helfen, Gaddafi zu stürzen, auch wenn das niemand offiziell ausspreche. Der libysche Vize-Außenminister Chaled Kaim warf der NATO vor, Libyen spalten zu wollen. Dies wäre der »Beginn eines neuen Somalia«, sagte er dem italienischen Fernsehen. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen betonte immer wieder, dass sich die Allianz allein an den Auftrag gebunden fühle, »Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete vor Angriffen des Gaddafi-Regimes zu schützen«. Nach Informationen des »Guardian« erwäge man in Paris schon, »unilaterale Operationen außerhalb des NATO-Kommandos weiterzuführen«, falls das Pakt-Vorgehen künftig »zu schüchtern« sei. Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin hat die Allianz gestern nachdrücklich vor einer »kreativen Auslegung« der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates gewarnt.

Was also wird aus dem »Revolutionsführer«? Erst hatte die saudi-arabische Zeitung »As-Sharq al-Awsat« verbreitet, Gaddafi-Sohn Saif al-Islam habe angeblich bei verschiedenen westlichen Regierungen für eine Regelung geworben, die nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen mit der Opposition eine Übergangsphase von zwei bis drei Jahren vorsieht, in der Saif die Regierungsgeschäfte seines Vaters übernimmt. Nun berichteten britische Zeitungen, London und Washington würden auch einen schnellen Gang Gaddafis ins Exil akzeptieren, selbst wenn er dann nicht vom Internationalen Strafgerichtshof belangt werden könnte. Einen ähnlichen Vorschlag legte zuvor Rom vor. Gaddafi betonte gestern, er sei bereit, Entscheidungen der Afrikanischen Union zu akzeptieren

In London hat Außenministerin Hillary Clinton vollmundig die Entschlossenheit der »internationalen Gemeinschaft« bekräftigt, Gaddafi zum Rückzug zu zwingen: »Er muss gehen!« Nur zitierte die »Washington Post« auch US-Regierungsbeamte, die einen Sieg der Rebellen für unwahrscheinlich halten. Wie US-Vizeadmiral William Gortney betonte, sei »die Opposition nicht gut organisiert, sie ist keine sehr robuste Organisation«.

Präsident Barack Obama, der sich wegen des Kriegseinsatzes in Libyen wachsender Kritik an der Heimatfront ausgesetzt sah, verteidigte die Entscheidung in seiner ersten Ansprache an die USA-Bevölkerung seit Beginn der Luftangriffe mit den Worten: »Wenn unsere Interessen und Werte auf dem Spiel stehen, haben wir eine Verantwortung zu handeln«. Und eröffnete damit ein weites Feld für Militäroperationen dieser Art. Zugleich bekräftigte er, dass die USA für den »begrenzten« Einsatz keine Bodentruppen entsenden würden. Allerdings sprach die »Washington Post« gestern von einer »dramatischen« Zunahme der Angriffe auf Gaddafis Truppen. Erstmals seien dabei tieffliegende Kampff〜lugzeuge eingesetzt worden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle setzte auch in London »auf einen politischen Prozess, auf eine politische Lösung« und hat der libyschen Opposition Hilfe bei einer politischen Neuordnung des Landes und beim Wiederaufbau angeboten. Erst einmal aber müssten die Sanktionen weiter verschärft werden, von Reisebeschränkungen über das Einfrieren von Konten bis zum Waffenembargo; vor allem sollten die erweiterten Strafen ein umfassendes Öl- und Gasembargo beinhalten.

Mit der Einnahme der Ölstadt Ras Lanuf, wo an der Küste wichtige Pipelines aus dem Inland zusammenlaufen, stellt sich verstärkt die Frage, was mit den Ölvorkommen Libyens wird. Die Aufständischen wollen erreichen, dass die Ausfuhren aus dem »befreiten Osten« von Sanktionen ausgenommen werden. Wie Gaddafi brauchen sie dringend Geld. Aber wer eigentlich würde da mit wem Geschäfte machen? Laut »Al Dschasira« existiere bereits ein Vertrag mit dem staatlichen Ölkonzern Katars, das auch Kampfflugzeuge für die Koalition gestellt hat. Die libysche Opposition sicherte am Dienstag für eine Zeit nach Gaddafi umfangreiche demokratische Reformen zu – und mit Blick auf die vielen Ölmultis im Lande auch den Schutz der Interessen und Rechte ausländischer Bürger und Unternehmen in Libyen.
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.