Vom Regal ins Internet

Leipzigs Universitätsbibliothek digitalisiert alte Handschriften und stellt sie im Netz zur Verfügung

  • Björn Siebke, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
Tonnen von wertvollen, alten Handschriften und Drucken schlummern in der Leipziger Unibibliothek. Nun werden viele ins Internet gestellt. Das hilft Forschern in aller Welt.

Leipzig. Knips. Schon wieder ist eine Seite bereit für den Weg ins Internet. 45 Seiten schafft der sogenannte Grazer Kameratisch pro Stunde. Der Tisch steht im Keller der Universitätsbibliothek Leipzig. Mit seiner Hilfe werden die wertvollen alten Bibliotheksbestände digitalisiert – und so Forschern in aller Welt leichter zugänglich gemacht. Der Tisch besteht im wesentlichen aus einer Kamera und einer mit Filz belegten Ablage für das aufgeschlagene Buch. Alles lässt sich millimetergenau einstellen, weshalb die Teile des Tischs von zahlreichen verstellbaren Metallstangen gehalten werden. Inklusive Einrichtung und Transport kostet er über 30 000 Euro.

Ingrid Graf hat weiße Stoffhandschuhe an. Die Mitarbeiterin der Digitalisierungs-Abteilung blättert gerade vorsichtig eine Handschrift aus einem sächsischen Kloster um, die schon seit Reformationszeiten in der Universitätsbibliothek untergebracht ist. Der Holzdeckel-Einband des Buches ist mit Leder überzogen. Vorsichtig legt Graf eine Seite des Buches auf eine Reihe von Luftlöchern, durch die der Kameratisch die Buchseite ansaugt und glatt zieht. Die Seite soll vollkommen scharf erscheinen.

Fünf Etagen höher sitzt Bibliotheksdirektor Ulrich Johannes Schneider vor seinem Computer und betrachtet die eingescannten Schriften. Seine Bibliothek hat gerade den Codex Sinaiticus, die älteste Bibel der Welt mit vollständigem Neuen Testament, als 800 Seiten starken Nachdruck herausgebracht. Der Codex wurde nicht nur digitalisiert, sondern erschlossen. Nach dem Scannen haben Wissenschaftler den Text abgeschrieben und durchsuchbar gemacht. Derzeit wird er in vier Sprachen übersetzt, sogar den Zustand jeder einzelnen Seite beschreiben die Forscher detailliert. Wo auf der Seite Falten sind, wie viele Flecken das Original hat – alles ist im Internet notiert. Wissenschaftler in aller Welt können damit bequem vom Computer aus an dem Werk forschen. Für Schneider ein riesiger Fortschritt: »Bisher waren diese Handschriften nur denjenigen zugänglich, die nach Leipzig gekommen sind.«

Dass die Archive eine Digitalisierung überhaupt zulassen, ist für Liebhaber alter Handschriften wichtig. »Bibliotheken und Sammlungen verstehen sich häufig noch als Besitzer. Es haben noch nicht alle verstanden, welche Chancen die Digitalisierung bietet«, kritisiert Schneider.

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