Wandel im Land der Izoceños
Die Veränderungen in Bolivien hinterlassen auch bei Indígenas im Tiefland Spuren
Wenn Bolivien gesagt wird, tauchen meist Assoziationen auf, die verbunden sind mit den Anden, Quechua- und Aymara-Indianern und Evo Morales, dem charismatischen Präsidenten indianischer Abstammung. Ein Fünftel des Landes aber liegt im tropischen und subtropischen Tiefland, dessen Zentrum Santa Cruz ist. Hier hat eine kreolisch-mestizische Mittel- und Oberschicht das Sagen. Ihr Selbstbewusstsein, das auch vor Separationsgedanken vom indianischen Hochland nicht zurückschreckt, gründet sich auf die Einnahmen aus der boomenden Produktion von devisenproduzierenden Exportgütern wie Gas, Zuckerrohr und Soja, Indígenas sind dort eine exotische Minderheit. Unter Tieflandindianer werden nicht mehr als 200 000 Menschen gefasst, die zu 36 Stämmen und Gruppen gehören. Ihr Kampf, insbesondere ihre Märsche auf La Paz in den 90er Jahren, trugen wesentlich dazu bei, dass die Neugründung des bolivianischen Staates unter Evo Morales 2006 in Angriff genommen werden konnte.
Eine dieser Gruppen sind die Izoceños. Kaa-Iya, der Kern ihres Heimatlandes, hat gleichzeitig einen Status als bolivianischer Nationalpark. Seine Bewohner erkämpften im Rahmen der Agrar- und Verwaltungsrevolution das Recht, ihn zu verwalten. In ihm, aber auch im angrenzenden paraguayischen Teil des Gran Chaco, leben auch einige Gruppen der mit den Izoceños verwandten Ayoreo, die jeden Kontakt mit Nicht-Indianern vermeiden und auch nur selten verwandte Gruppen besuchen.
Von Santa Cruz sind es dorthin etwa 300 Kilometer, für die man etwa zwölf Autostunden benötigt. Der Sprung von Santa Cruz nach Izozog ist jedoch weit mehr als die Überwindung der räumlichen Distanz – es ist ein Sprung in eine andere Welt. Der Tages- und Jahresablauf richtet sich in Izozog weiter nach den Arbeiten, die auf den Feldern erledigt werden müssen. Für die Männer bedeutet das, zwischen Dezember und März die Felder für die Aussaat vorzubereiten oder neue zu roden. Hierbei wenden sie weiterhin Brandrodung und Wanderfeldbau an wie viele Generationen vor ihnen. Bei einer Bevölkerung von etwa 10 000 Menschen, verteilt über 19 000 Quadratkilometer ist das noch kein Problem. Im Februar und März wird gefischt. Dann führt der Rio Parapiti ausreichend Wasser und die Fischschwärme ziehen in die Nähe der Dörfer. Als alleinige Überlebensgrundlage sind die Felder, Ziegenherden, die wenigen Rinder und die Fischerei aber schon längst nicht mehr ausreichend. Deswegen arbeiten insbesondere die Männer saisonweise als Wanderarbeiter auf den Haziendas der Großgrundbesitzer der weiteren Umgebung oder sie arbeiten in der Stadt, um Geld für Lebensmittel und Bekleidung zu verdienen. Müßig zu erwähnen, dass sie dabei ganz unten in der Hierarchie und Lohntabelle stehen.
Hier in Izozog aber sind sie weiter die Herren im Hause – im Nationalpark und darüber hinaus. Frauen und Mütter sind respektiert, aber es bedarf keiner großen Beobachtungsgabe um zu sehen, dass die Gleichstellung der Geschlechter bei der Hausarbeit kein Thema ist. Und für die Kinder ist es ein normaler Teil des Alltags, Feuerholz im Wald zu sammeln und Wasser vom Brunnen heranzuschleppen.
Der friedliche und gemächliche Tagesablauf fernab der Zivilisation ohne Radio, mit klapprigen Fahrrädern als schnellstem lokalen Transportmittel und nur wenigen Familien, die abends ein paar Stunden Licht haben von Solarpaneelen, verrät nicht, dass die Änderungen und Spannungen in der bolivianischen Gesellschaft auch diese Siedlungen erreicht haben. CABI, die politische Organisation der Izoceños und eine der Hauptkräfte des indigenen Widerstandes der 90er Jahre, ist gespalten, nachdem ihr Anführer, Bonifacio Barrientos, sich politisch und ökonomisch mehr und mehr von der weißen Oberschicht von Santa Cruz einfangen ließ. Historisch gesehen gab es von jeher kulturelle und religiöse Gegensätze zwischen Hoch- und Tieflandindianern, die in den Hintergrund traten, solange der gemeinsame Gegner Parlament und Präsidentenamt Boliviens beherrschte. Evo Morales wurde anfangs auch im Tiefland als Hoffnungsträger angesehen, doch viele Indigene empfinden jetzt, dass er einseitig das Hochland bevorteilt. Verarmte Quechua und Aymara, die sich auf der Suche nach Land und Arbeit im Tiefland niedergelassen haben, werden als weitere Eindringlinge und als Konkurrenten im eigenen Land betrachtet. So war es für die weiße Oberschicht von Santa Cruz relativ leicht, den ehrgeizigen Barrientos vor ihren Karren zu spannen. Als er dann auch noch eigenmächtig Land an die einwandernden Mennoniten verkaufte, spaltete sich CABI in Alto und Bajo Izozog. Hier in Kapeatindi und im gesamten südlichen Teil von Izozog hat Barrientos nichts mehr zu sagen, während man weiter mit Hochachtung spricht von seinem verstorbenen Vater, dessen Einsatz es zu verdanken ist, dass Izozog und Kaa-Iya weiter ihren indigenen Charakter haben.
Oberflächlich gesehen ist Izozog das gleiche wie vor zwölf Jahren. Doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. Die Öl- und Gasindustrie des Gran Chaco hinterlässt auch hier ihre schmutzigen Spuren, auch wenn sie noch Ausnahmen sind. Mennoniten und andere Zuwanderer rücken dichter heran an die traditionellen Siedlungsgebiete der Izoceños. Die Kinder, mit denen ich Fußball spielte, werden ein anderes Land erben, als sie und ich es jetzt erlebten. Sie besuchen die Schule in Kapeatindi, die ihnen zumindest eine kleine Tür zu einer anderen Welt öffnet. Ob sie dennoch dem genügsamen Leben ihrer Eltern und Großeltern treu bleiben, ist offen.
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