Gigantismus am Bodensee
Das idyllisch gelegene Konstanzer Stadion aus dem Jahr 1935 ist eine Bürde für die Stadt
Anfang der neunziger Jahre stand die Konstanzer Sportarena am Bodensee kurz vor der Schließung. Das Konstanzer Sport- und Bäderamt hielt die Anlage aus Sicherheitsgründen für »nicht mehr betreibbar«. Als daraufhin die Sportvereine lauthals protestierten, entschloss sich die Stadt, wenigstens die Leichtathletik-Anlage zu sanieren. Ein moderner Kunststoffbelag wurde angelegt, die sanitären Anlagen etwas erneuert.
Doch der Konflikt ist grundsätzlicher Natur: Seit Jahren wird eine dringend nötige Totalrenovierung des alten Stadions gefordert, aber in Zeiten leerer Kassen ist dafür kein Geld vorhanden. »Wir wollen«, sagt Frank Schädler vom Konstanzer Sportamt, »das Stadion so gut wie möglich erhalten, mehr ist nicht drin.« Die Nutzungsperspektiven sind eng gefasst. Da es nicht nur an einer Fluchtlichtanlage, größeren Duschen, einem Cateringbereich und Umkleiden fehlt, wird es auch in Zukunft keine hochrangigen Meisterschaften im Stadion geben.
Das Tor zur Schweiz
Erneut steht auch eine Sanierung der knapp 8000 Quadratmeter großen Sportfläche an, die Kosten von knapp 400 000 Euro verursachen würde. Doch woher nehmen? Nun soll sich eine Arbeitsgruppe ab sofort darüber Gedanken machen, wie man das Stadion auch anders nutzen könnte. Die Vision von einem »Sport- und Freizeitpark« geistert durch die Köpfe. Doch dabei wird es voraussichtlich erst einmal bleiben.
Und so steht die Stadt vor einem Problem, das ihr der Größenwahn der Nationalsozialisten hinterlassen hat, denn in der 1935 eingeweihten »Bodensee-Kampfbahn« hätte damals die gesamte Bevölkerung von Konstanz bequem Platz gefunden. Im September 1933 rückten die ersten Arbeiter ans Horn am See, dahin, wo sich zu jener Zeit noch eine öde Kiesgrube befand. Täglich 120 Arbeiter erweiterten die Grube, 550 Bäume wurden gefällt, 100 000 Kubikmeter Erde bewegt. Ab Mitte Dezember 1933 wurde in Doppelschicht gearbeitet. Die »Bodensee-Zeitung« feierte den »Kampf gegen die Arbeitslosigkeit«.
Der Ausbau der Bodensee-Kampfbahn selbst begann im Februar 1935. Zufahrtstraßen wurden angelegt, Parkplätze gebaut, die Tribünenmauer entstand, schließlich das »Aufmarschtor« und die Kassenhäuschen. Am 15. Oktober 1935 war der zweite Bauabschnitt beendet. Von September 1933 bis zur Fertigstellung hatten täglich 125 Arbeiter »in Lohn und Brot gestanden« und »50 000 Tagewerke« geleistet .
Schon lange bevor in der Bodensee-Kampfbahn der Fußballrasen wuchs, machte sich die Verwaltung Gedanken über eine »macht- und würdevolle Einweihung«. Man wollte sich schließlich nicht blamieren und dem Rest der Welt eindrucksvoll zeigen, dass sich auch tief in der Provinz der Glaube an das »Tausendjährige Reich« manifestiert hatte.
Schalke 04, der damalige Deutsche Fußballmeister mit den legendären Fritz Szepan und Ernst Kuzorra, und Lausanne Sports, der Schweizer Titelträger, gaben ihre Zusage zum Eröffnungsspiel. Ein geschickter Schachzug, denn gerade aus der benachbarten Schweiz erhoffte man sich großen Zulauf. Mehr noch: Der Gedanke, die Eidgenossen »heimzuholen ins Reich«, spukte grenzübergreifend durch die braunen Köpfe.
Der Tag der Einweihung, der 20. Oktober 1935, rückte näher. Hunderte von Einladungen wurden verschickt. Rudolf Heß und Joseph Goebbels sagten »bedauernd« ab. Wochen vorher schon hing überall in der Stadt der Aufruf der Verwaltung, »durch Massenbesuch ein machtvolles Bekenntnis des Gemeinschaftssinnes abzulegen«. Und: »Bürger von Konstanz, folgt Eurer Führung«.
Sportler an die Front
Bei der Einweihung nahmen »Reichssportführer« von Tschammer-Osten und der badische Ministerpräsident Köhler auf der Ehrentribüne Platz. Allerdings regnete es in Strömen und statt der erhofften 35 000 Zuschauer kam gerade mal die Hälfte. Nach »Horst-Wessel-Lied« (vier Minuten), der Schweizer Nationalhymne (3 Minuten), schickten Szepan und Kuzorra die Lausanner Sportsfreunde mit einer 4:1-Packung nach Hause. Der Anfang war aber gemacht, weitere Großveranstaltungen »im Sinne der vaterländischen Volksgesundheit« waren bereits in Planung. Länderspiele, Aufmärsche, Propagandaveranstaltungen – man träumte von einer vollen Kampfbahn. Doch daraus wurde nichts, die Kriegsgefahr wuchs, die Menschen hatten andere Sorgen.
Bei Kriegsausbruch erlahmte das Konstanzer Vereins- und Sportleben fast vollständig. Die meisten Sportler wurden an die Front geschickt und vergossen ihr Blut für »Führer und Volk«. Es gab nur noch vereinzelt größere Sportveranstaltungen.
Nach dem Krieg stand das sportliche Treiben in der Kampfbahn wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. 12 000 Zuschauer verfolgten das Endspiel der französischen Zonenmeisterschaft zwischen dem VfL Konstanz und dem FC Kaiserslautern. Der Pfälzer Club mit den Brüdern Otmar und Fritz Walter spielte die Konstanzer mit 12:2 und 8:4 an die Wand. Auch in den siebziger Jahren erlebte das Stadion noch einmal einen Zuschauerboom. Die DJK Konstanz klopfte heftig ans Tor zur zweiten Fußball-Bundesliga und bei Heimspielen pilgerten manchmal bis zu 10 000 Fans hinaus zum Stadion am Hörnle.
Kein Geld für Renovierung
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Und wenn der Landesligist FC Konstanz vor heimischem Publikum auftritt, dann verlieren sich die wenigen Zuschauer in der riesigen Arena. Der Kassierer begrüßt die letzten der Treuen mit Handschlag, der Bratwurststand bleibt mangels Nachfrage oftmals kalt. Trostlosigkeit haftet den alten Steinquadern an. Nur im Sommer, wenn das jährliche Spektakel »Rock am See« ansteht, ist die alte Kampfbahn voll mit Musikfans aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Doch die Kernfrage bleibt: Was tun mit dem Kleinod am Bodensee, einem Stadion, das im Deutschen Sport-Taschenbuch 1989 noch mit einem Fassungsvermögen von rund 40 000 Zuschauern angegeben wurde? Achselzucken bei den Verantwortlichen. Kein Geld für eine grundlegende Renovierung, auch ein Abriss käme zu teuer. So nagt der Zahn der Zeit weiter an dieser historischen Stätte.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.