Der steuerrechtliche Streit zwischen einem Erst- und Zweitstudium

Jobben im Studium – 2. Teil

  • Lesedauer: 5 Min.
Jobben im Studium – in einer vierteiligen Serie zu Beginn des Sommersemesters stellt JOACHIM HOLSTEIN, Berater für studentische Steuerfragen beim AStA der Universität Hamburg, die wichtigsten neuen und alten Regelungen vor, die berufstätige Studierende beachten müssen. Nach dem 1. Teil vor einer Woche zur Sozialversicherung geht es heute im 2. Teil um den jahrzehntelangen steuerrechtlichen Streit zwischen Erst- und Zweitstudium.

Gehört ein Studium zum Berufsleben oder ist es Privatsache? Wer diese Frage spontan mit »natürlich zum Berufsleben« beantwortet, weil er oder sie einen Beruf anstrebt, für den ein Studium Voraussetzung ist, wird überrascht feststellen, dass das Finanzamt ein Erststudium als Privatangelegenheit einstuft und dessen Kosten ganz anders behandelt als bei einem Zweitstudium oder einem Studium nach einer Lehre.

Rückgriff in die Rechtsgeschichte von 1937

Um das zu verstehen, muss man in der Rechtsgeschichte bis zum 24. Juni 1937 zurückgehen, als der Reichsfinanzhof des faschistischen Deutschlands verkündete, dass »die Erlangung der für den Lebenskampf notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten grundsätzlich der privaten Lebensführung zugehört, die Aufwendungen hierfür daher nicht abzugsfähig sind«.

Diese Doktrin bildete die Grundlage für die Einstufung eines Studiums im bundesdeutschen und seit 1990 im gesamtdeutschen Steuerrecht, wo jahrzehntelang zwischen einer »Weiterbildung für einen neuen Beruf« und der »Fortbildung im ausgeübten Beruf« unterschieden wurde. Der erste Fall wurde als privat veranlasst eingestuft und die Anerkennung der Kosten bei wenigen Hundert DM (später Euro) gedeckelt. Nur im zweiten Fall wurden Ausbildungs- oder Studienkosten wie Werbungskosten behandelt, also in unbegrenzter Höhe anerkannt und bei Verlusten auch mit anderen Jahren verrechnet. Die Abgrenzung zwischen »Weiterbildung« und »Ausbildung« war stets umstritten.

Es dauerte bis 2002, ehe der Bundesfinanzhof (BFH) mit rund zehn Urteilen eine neue Rechtsprechung schuf: Jede berufsorientierte Ausbildung sei bei den Kosten als beruflich bedingt zu behandeln. Studiengänge und Ausbildungen, die als Hobby oder zur Persönlichkeitsentwicklung absolviert werden, seien als privat veranlasst zu betrachten.

Als die damalige rot-grüne Bundesregierung ausrechnete, dass Studierende und Absolventen damit jährlich rund 1,5 Milliarden Euro Steuern sparen würden, führte sie zum 1. Januar 2004 ein Gesetz ein, das ein Erststudium prinzipiell zur Privatangelegenheit erklärte und nur ein zweites Studium nach einem ersten Hochschulabschluss als beruflich bedingt ansah.

Als Gesetzeszweck gab man ganz offen die Absicht an, nur 350 Millionen Euro an Steuerersparnis für Studierende und Absolventen akzeptieren zu wollen. Mit der in der Bundestags-Drucksache 15/3339 nachlesbaren inhaltlichen Begründung, warum ein Studium Privatsache sei, begab man sich in peinliche Nähe zur Lesart von 1937: »Regelmäßig eröffnet das Erststudium eine neue berufliche, soziale und wirtschaftliche Stellung. Die dafür getätigten Aufwendungen werden daher typisierend den Lebensführungskosten zugerechnet.«

Beschluss zur Obergrenze für anerkannte Kosten

Warum aber Aufwendungen für eine »neue berufliche« und »wirtschaftliche Stellung« nicht dem Erwerbsaufwand, sondern der allgemeinen Lebensführung zuzurechnen sein sollten, war und ist nicht nachvollziehbar.

Als Trostpflaster wurde 2004 beschlossen, die Obergrenze der anerkannten Kosten für ein erstes Studium auf 4000 Euro pro Jahr anzuheben. Damit war zwar »normalen« Studierenden geholfen, aber nicht denen, die einst einen Beruf gelernt hatten und zu einem späteren Zeitpunkt ein Studium aufnehmen mussten.

Folglich landete diese Frage beim BFH, der im Einklang mit seiner Rechtsprechung von 2002 am 18. Juni 2009 in gleich fünf Fällen ein Erststudium nach einer Berufsausbildung und ein berufsbegleitendes Studium zur beruflich bedingten Zweitausbildung erklärte, deren Kosten in voller Höhe absetzbar sind (Az. VI R 79/06, VI R 6/07, VI R 14/07, VI R 31/07 und VI R 49/07).

Aktuelle Rechtsprechung vom September 2010

Mit Schreiben vom 22. September 2010 gab das Bundesministerium der Finanzen klein bei und wies die Finanzämter an, diese aktuelle Rechtsprechung des BFH anzuwenden. Außerdem wurden die Finanzämter angewiesen, wie mit unterschiedlichen Konstellationen von Berufs- und Studienabschlüssen umzugehen ist:

Wenn nach Abschluss einer Berufsausbildung ein Studium aufgenommen wird, gilt dies als Zweitstudium.

Ein Zweitstudium nach einem ersten Studium liegt nur dann vor, wenn das Erststudium erfolgreich abgeschlossen wurde; ausländische Abschlüsse werden gemäß den auf der Website www.anabin.de genannten Kriterien anerkannt.

Der Bachelor gilt als abgeschlossenes Erststudium, ein Masterstudiengang ist daher Zweitstudium.

Eine Promotion gilt immer als Zweitstudium.

Notwendig ist ein »hinreichend konkreter, objektiv feststellbarer Zusammenhang mit späteren im Inland steuerpflichtigen Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit«. Möglicherweise wird man diesen Zusammenhang erst später, beim Finanzgericht beweisen können. (Schreiben auf der Website www.bundesfinanzministerium.de unter »BMF-Schreiben« nach »Berufsausbildungskosten« oder unter Datum 22.09.2010 suchen).

Streitfall »klassisches« Studium nach dem Abitur

Damit bleibt nur noch das »klassische« Studium nach dem Abitur strittig, für das bisher nur erstinstanzliche Urteile zur aktuellen Rechtslage vorliegen. Fünf Verfahren stehen 2011 beim BFH zur höchstrichterlichen Entscheidung an (siehe www.bundesfinanzhof.de unter »Anhängige Verfahren«).

Im Verfahren unter Az. VI R 7/10 klagt eine Medizinstudentin, die nicht auf einen Studienplatz in Deutschland wartete, sondern ins Ausland ging und dort Gebühren zahlte. Bei den vier anderen Verfahren geht es um Pilotenausbildungen direkt nach dem Abitur (Az. VI R 59/09 und VI R 5/10), nach einer während des Zivildienstes erworbenen Qualifikation zum Rettungssanitäter, die das Finanzamt nicht als Erstausbildung anerkennt (Az. VI R 52/10), beziehungsweise bei der Flugschule einer Fluggesellschaft mit Ausbildungsvertrag und Übernahmeerklärung (Az. VI R 22/09).

Der fünfte Fall ist speziell für Studierende interessant, bei denen es eine enge Verzahnung zwischen Studium und künftigem Arbeitsplatz gibt und der Arbeitgeber sich schon an den Studienkosten beteiligt.

3. Teil in der nächsten Woche: Welche Studienkosten können von der Steuer abgesetzt werden?

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