Wirtschaft profitiert trotz teurer Arbeit
Bundesamt zu Arbeitskosten in Europa
Die Arbeitskosten in Deutschland gehören mit zu den höchsten in Europa. Für Unternehmen könnte das ein Problem sein. Ist es aber nicht, meint der Ökonom Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): »Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist hervorragend.« Trotz teurer Arbeit. Immerhin zahlen Unternehmen in der Privatwirtschaft 2010 durchschnittlich 29,20 Euro an Löhnen und Lohnnebenkosten für eine geleistete Arbeitsstunde. Das ist im europäischen Vergleich Rang sieben, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) am Montag in Wiesbaden mitteilte. In Frankreich, Niederlande und Dänemark, Länder mit denen Deutschlands Wirtschaft hauptsächlich konkurriert, lässt man sich die Arbeit deutlich mehr kosten. In der deutschen Industrie, die besonders im internationalen Konkurrenzkampf steht, ist eine Stunde Arbeit 47 Prozent teurer als im EU-Durchschnitt, aber drei Prozent billiger als in Frankreich, das als stärkster Geschäftsgegner in der EU gilt.
Im Alltag ist der Wettbewerbsvorteil des Exporteuropameisters noch größer als drei Prozent. Entscheidend ist nämlich nicht allein der Preis der Ware Arbeitskraft, sondern auch die Produktivität: Wie viel wird in einer Stunde produziert. Erst aus beiden errechnen sich die »Lohnstückkosten«. Hier haben die deutschen Unternehmen in der zurückliegenden Dekade einen erheblichen Vorsprung herausrationalisiert. Oder einen Rückstand wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert.
Unter dem vergleichsweise geringen Anstieg der Arbeitskosten seit dem Jahr 2000 »leiden« die Beschäftigten und der Volkswirtschaft fehle es an Konsumnachfrage, warnt Horn. Und während der deutsche Export auch wegen der niedrigen Arbeitskosten boomt, haben andere Staaten im Euroraum, wie Griechenland und Portugal, mit Handelsdefiziten zu kämpfen.
Die von Destatis am Montag veröffentlichten Ergebnisse können zudem nicht einfach mit früheren Erhebungen verglichen werden. Erstmals wurden internationale Standards einbezogen. So wurden etwa staatliche Zuschüsse für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen von den Arbeitskosten abgezogen. Damit wurde auch offiziell die Legende beerdigt, die Lohnnebenkosten wären zu hoch. Für Jutta Krellmann ein Politikum: »Bundesregierung und Wirtschaftslobbyisten haben immer behauptet, die hohen Lohnnebenkosten seien die Ursache von Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche in Deutschland.« Die neuen Zahlen überführten die Regierung nun »der Lüge«, sagt die arbeitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Mit dem Hinweis auf die Lohnnebenkosten hatten die Regierungen Schröder und Merkel erhebliche Kürzungen durchgesetzt.
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