»Wo sollen wir denn hin?«
Japaner sträuben sich gegen die Evakuierung aus der Strahlungszone
Lange Zeit hat die japanische Regierung gezögert. Nun sollen auch Gemeinden außerhalb der 20-Kilometer-Zone evakuiert werden. Der Plan schreckt die Menschen auf: Viele mögen ihre vertraute Heimat nicht verlassen, andere fürchten um den Verlust ihrer Lebensgrundlage.
Bürgermeister Michio Furukawa steht vor der wohl schwierigsten Aufgabe seines Lebens. Die Zentralregierung in Tokio hat angekündigt, einen Teil seiner 15 000 Einwohner zählenden Stadt Kawamata evakuieren zu wollen. Aus Sorge um die radioaktiven Strahlen aus dem rund 30 Kilometer entfernten Kraftwerk Fukushima. Allerdings nicht sofort, sondern erst in etwa einem Monat. »Zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit unserer Bürger kommen wir nicht umhin, die geplante Evakuierung zu akzeptieren«, sagt Furukawa zerknirscht. Doch leicht wird das Unterfangen nicht – denn die Menschen sträuben sich.
Einen Tag nach der Bekanntgabe hat Furukawa die Bürger des 1100 Bewohner zählenden Bezirks Yamakiya zu einer Versammlung eingeladen. Es herrschen Verwirrung und Unverständnis. »Soll das heißen, ich muss mein eigenes Landstück wegwerfen?«, fragt ein Bauer. »Ohne Garantien für unser Einkommen können wir nicht leben«, meint ein anderer. Und wieder ein anderer schimpft: »Wenn wir schon evakuieren müssen, dann will ich, dass erst mal festgelegt wird, welche Gegenden genau betroffen sind.«
Der Bürgermeister wird mit Fragen bombardiert, zu denen er und seine Beamten noch gar nichts Genaues sagen können. »Auch wir als Stadt fordern von der Regierung Informationen«, zeigt der Stadtherr Verständnis für seine verunsicherten Mitbürger.
Seit Langem fordern internationale Experten, Japan müsse die Evakuierungszone um das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima Eins wegen der Strahlenbelastung ausweiten. Doch die Regierung in Tokio hielt stets daran fest, dass nur Gebiete im Umkreis von 20 Kilometern um die Atomruine geräumt werden. Wer zwischen 20 und 30 Kilometern um das AKW herum wohnt, ist lediglich gebeten, sich freiwillig in Sicherheit zu bringen oder im Haus zu bleiben.
Jetzt, nach einem Monat, hat die Regierung fünf Gemeinden oder zumindest Teile davon zu sogenannten »keikakuteki hinanchiiki« erklärt – »geplanten Evakuierungsgebieten«. Bislang hatten die Bürger dort vom Staat gehört, sie seien trotz Strahlung sicher. Doch nun sagte Regierungssprecher Yukio Edano, die Gefahr sei doch zu groß – vor allem langfristig.
Für die betroffenen Gemeindechefs kam der Regierungsplan, die Bewohner in einem Monat in Sicherheit zu bringen, urplötzlich. »Wir hörten von der Ankündigung im Fernsehen. Sie erfolgte, noch bevor wir unsere Bürger informieren konnten«, sagt Satoshi Horikawa von der Stadtverwaltung in Kawamata. »Es gibt derzeit viel Verwirrung unter unseren Bewohnern. Viele Leute sind wütend und fragen uns, was los ist.«
Viele der Menschen sind schon betagt. Sie haben Angst, ihre Heimat verlassen. »Schon ihre Vorfahren haben vor über 100 Jahren dieses Land kultiviert. Sie lieben diese Region«, erzählt ein Anwohner. Viele hätten Hunderte Kühe.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.