Keine Umbruchstimmung in Europas Norden
Finnen wählen neuen Reichstag / Rechtspopulisten rücken in Kreis der großen Parteien auf
Anders als bei den schwedischen Nachbarn oder anderen westeuropäischen Ländern, in denen üblicherweise das letzte Jahr vor den Wahlen lautstarke Zuspitzungen der Polemik zwischen den Parteien das politische Klima bestimmen, war von Wahlkampf in Finnland erst seit Anfang dieses Jahres etwas zu spüren. Daran mag der selbst für finnische Verhältnisse ungewohnt strenge Winter durchaus seinen Anteil haben.
Die eigentlichen Ursachen erklären sich jedoch in erster Linie aus der Unschärfe der politischen Konstellationen. Den Grad der parteipolitischen Konturenlosigkeit zeigt beispielhaft der Umstand, dass in Umfragen etwa ein Drittel der Wählerschaft glaubt, die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokraten (SDP), säße in der Regierung. Dabei regierten seit der Jahrhundertwende ausschließlich bürgerlich geführte Koalitionen. Der jetzigen Regierung, die von zwei der drei großen Parteien Finnlands – der großbürgerlichen Sammlungspartei und der bäuerlich geprägten Zentrumspartei – dominiert wird, gehören die kleinere Schwedische Volkspartei und die Grünen an. Letztere gerierten sich als Gegner des Ausbaus der Kernkraft in Finnland, obwohl Regierung und bürgerliche Parlamentsmehrheit den Bau zweier weiterer Reaktorblöcke forcierten.
Einzige ernste Schwierigkeit für die amtierende Regierung war die Korruptionsaffäre des Premierministers Matti Vanhanen (Zentrumspartei), der im Mai vorigen Jahres fast reibungslos von seiner jungen Parteikollegin Mari Kiviniemi abgelöst wurde. Die Sammlungspartei, die bereits alle machtpolitischen Ressorts in der Regierung innehatte, hoffte zwar, auch den Premiersposten noch zu übernehmen, doch dieses Kalkül ging bisher nicht auf. Kiviniemi vermochte die Zentrumspartei mit etwa 2 Prozentpunkten Differenz auf Augenhöhe zur Sammlungspartei (in Umfragen bei 21 Prozent) heranzuführen.
Ein neues Phänomen stellt die Partei der »Wahren Finnen« dar. Galten bislang Sammlungspartei, Zentrumspartei und Sozialdemokraten als die Großen in Finnland, kommen nun die Rechtspopulisten – nichts anders sind die »Wahren Finnen« – als vierter Großakteur hinzu. Die letzten Meinungsumfragen bescheinigten der in großen Teilen nationalistisch und extrem migrantenfeindlich gesinnten Parteimitgliedschaft mehr als 15 Prozent. Damit drohen sie mit der SDP gleichzuziehen. Die von den »Wahren Finnen« propagierte Rückbesinnung auf ein »wertekonservatives Finnentum«, demagogisch verknüpft mit einer betonten Gegnerschaft zu EU und Euro, stößt angesichts der sozialen Kälte in der zunehmend neoliberal geprägten Gesellschaft Finnlands auf unverkennbare Sympathien.
Den kleineren Parteien wie den Grünen, der Linksallianz und den Christdemokraten, die bisher bestenfalls auf einen Stimmanteil von 5 bis 10 Prozent hoffen konnten, droht angesichts dieses Trends der Verlust ihrer politischen Bedeutung. Derartige Befürchtungen gelten nicht für die ebenfalls zahlenmäßig kleine Schwedische Volkspartei, die sich als Repräsentantin der finnlandschwedischen Bevölkerungsminderheit (7 Prozent) auf gut drei Viertel ihres dortigen Stimmpotenzials verlassen kann. Ein Streit um den obligatorischen Schwedisch-Unterricht in Schule und Universität polarisiert seit etwa zwei Jahren im Zuge der Gebiets- und Verwaltungsreform das gesamte Parteiensystem Finnlands. Die klarsten Gegensätze in dieser Auseinandersetzung zeigten sich zwischen der Schwedischen Volkspartei und den »Wahren Finnen«. Zeitweise überlagerte der Sprachenstreit im Wahlkampf andere gravierende Fragestellungen, wie die des Euro-Rettungsschirms, der militärischen Beteiligung Finnlands an der Flugverbotszone über Libyen oder des Verhältnisses zu Russland.
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