Liberaler Überlebenskampf
Schon oft wurde die FDP totgesagt – und auch die aktuelle Krise wird die Partei wahrscheinlich überstehen
Der Führungswechsel in der FDP ist zwischenzeitlich kein Medienthema mehr, dennoch kommt diese Partei nicht zur Ruhe. Woche für Woche werden Umfrage-Ergebnisse veröffentlicht, in denen sie knapp bei fünf Prozent liegt oder gar darunter.
Nun ist die FDP schon seit den fünfziger Jahren immer wieder einmal totgesagt worden. Wer dies weiß, hält sich mit Untergangs-Prophezeiungen lieber zurück. Interessanter ist die Frage nach den Gründen ihres Überlebens trotz der fast schon periodisch auftretenden Krisen.
Die FDP ist stets neu die Mehrheitsbeschafferin von CDU/CSU und SPD gewesen. Das brachte ihr mehr Regierungspräsenz, als es ihrem kleinen Mitglieder- und Wählerstamm entspricht, das heißt aber auch: überproportionalen Einfluss auf die Personalpolitik in den öffentlichen Verwaltungen. Drohte sie aus einem Parlament auszuscheiden, war zugleich die Regierungsfähigkeit der größeren Partei – Sozialdemokratie oder Union –, mit der sie gerade verbündet war, in Gefahr. Also wurde sie immer wieder einmal durch Leihstimmen gerettet.
Besonders gut funktionierte das im Dreiparteiensystem der alten Bundesrepublik, das sich seit den sechziger Jahren herausgebildet hatte. Auch nach dem Auftauchen erst der Grünen, dann der Linkspartei ging es noch einige Zeit gut. Aber das Spiel ist komplizierter geworden. Absolute Mehrheiten sind selten, Große Koalitionen unbeliebt. Deshalb gab es früher zwei klassische Optionen: Bürgerblock oder ein sozialliberales Bündnis. In jedem dieser beiden Fälle bedeutete das: Regierungsbeteiligung der FDP und Nötigung der größeren Partner zur Blutspende. Bei einer Jamaica- oder einer Ampelkoalition stellt dieser Reflex sich nicht mehr automatisch ein.
Der Nutzen der Krise bestand in der Vergangenheit auch darin, dass die FDP dazu verurteilt war, sich konzeptionell zu erneuern. So kam es zur sozialliberalen Variante, die in ihrer Geschichte keine Selbstverständlichkeit gewesen ist, sondern zunächst ein Kraftakt. Als Konrad Adenauer 1955 plante, der FDP durch ein neues Wahlrecht das parlamentarische Lebenslicht auszublasen, bildete sie 1956 in Nordrhein-Westfalen ein (wenngleich kurzlebiges) Kabinett mit der SPD. Das war vor allem Taktik. Mit der Großen Koalition auf Bundesebene 1966 schien die FDP wieder einmal am Abgrund zu stehen. Jetzt kam es tatsächlich zu einer auch konzeptionellen Erneuerung: die Liberalen halfen Brandts Ostpolitik voranzutreiben, und in ihren Freiburger Thesen von 1971 öffneten sie sich sogar der Erkenntnis, dass es neben dem Schutz des Privateigentums auch ein Bürgerrecht auf Bildung und Opfer der Besserverdienenden für eine allen zugängliche Infrastruktur geben müsse.
Neuerdings plädiert der ehemalige FDP-Minister Gerhart Baum dafür, zu solchen Positionen zurückzukehren. Das wäre die Revision einer anderen Wende, die sich die FDP Anfang der achtziger Jahre geleistet hatte: Weg vom Sozial-, hin zum reinen Marktliberalismus. Die hatte ihr weitere Existenzkrisen, 2009 aber ihren größten Wahltriumph beschert, der dann allerdings zur Falle wurde. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte nach der Finanz- und Wirtschaftskrise ist mit den gigantischen Steuersenkungen, die die FDP versprochen hat, eben nicht vereinbar.
In der jüngsten Stunde der Gefahr sollen nun also innere Werte helfen: die FDP als Bürgerrechtspartei. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Exponentin eines solchen Kurses, hatte aber keine Aussicht auf den Parteivorsitz. Das ist ehrlich. Wenn die FDP in der Vergangenheit für Bürgerrechte eintrat (sie war darin nicht immer konsequent), dann wandte sie sich gegen Anmaßungen des Staates. Informationelle Selbstbestimmung – ein wichtiger gewordenes Thema – aber wird heute nicht nur durch diesen angegriffen, sondern durch große Unternehmen, die ihre Beschäftigten und Kunden bespitzeln. Mit ihnen legt sich die FDP nicht gern an. Das Thema der Bürgerrechte wird heute von den Grünen glaubwürdiger bedient als von der FDP, und für die Freiheit im Netz kämpft die Piratenpartei. Die jungen starken Männer der Partei sind allesamt mit dem Marktliberalismus groß geworden. Neuordnung der Finanzmärkte, Ausstieg aus der Atomwirtschaft, Klimaschutz: das sind zur Zeit keine sozialliberalen Themen, denn die herrschende, gerade auch von der FDP vertretene Lehre lautet, sie müssten durch Einschnitte für die Schlechterverdienenden gegenfinanziert werden. Die Kombination von Marktbändigung, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit: dies könnte tatsächlich das Gewinnerthema einer Partei mit langem Atem werden. Nichts spricht aber dafür, dass ausgerechnet die FDP hierfür geeignet wäre.
Ist sie diesmal also tatsächlich am Ende? Wahrscheinlich nicht. Nach der Union erhält sie die meisten Industriespenden. Die kapitalistischen Paten sind geduldig. Sie wissen: trotz der Schwächung der Volksparteien werden diese auch künftig die Regierungen führen und dabei soziale Zugeständnisse machen. Um eine kleine Partei am Leben zu erhalten, die sie dabei bremst, genügen vergleichsweise geringe Beträge.
Der Politikwissenschaftler Georg Fülberth lehrte mehr als 30 Jahre an der Universität Marburg.
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