»Nicht mein Genosse«
Die Basis rebelliert gegen den Verbleib Thilo Sarrazins in der SPD – Parteiaustritte inbegriffen
Berlin (ND-Drescher/Agenturen). »Sarrazin ist Rassist, kein Sozialdemokrat. Er gehört nicht in die SPD!« »Herr Sarrazin ist nicht mein Genosse«; »Ich bin zutiefst betroffen von der Entscheidung.« »Ich bin heute aus der SPD ausgetreten – nach 46 Jahren!!!« Dass Thilo Sarrazin nicht aus der SPD ausgeschlossen wird, ist für viele Genossen mehr als unverständlich. Ihren Unmut äußern sie etwa im Internet als Unterzeichner der »Berliner Erklärung zur Beendigung des Parteiordnungsverfahrens gegen Dr. Thilo Sarrazin« und in dem dazugehörigen Kommentarbereich, aus dem die vier Zitate stammen. In der Erklärung, die von Berliner Genossen initiiert wurde, heißt es unter anderem: »Nicht nachvollziehbar erscheint vor allem der Zickzackkurs der Partei. Wir entschuldigen uns bei den Menschen, die sich durch diese Haltung verletzt oder enttäuscht fühlen.« Bis 16 Uhr schlossen sich dem mehr als 700 Unterzeichner an.
Sarrazin sollte eigentlich wegen seiner umstrittenen Integrationsthesen aus der SPD ausgeschlossen werden. Bundes- und Landespartei zogen aber ebenso wie weitere Beschwerdeführer überraschend ihre Ausschlussanträge zurück, nachdem Sarrazin in einer Erklärung die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als Fehlinterpretationen zurückgewiesen hatte.
Die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Özoguz, bezeichnete das Ende des Ausschlussverfahrens als »nicht glücklich«. Es sei »schnell und intransparent« beendet worden und werde »sicherlich zu Missverständnissen innerhalb und außerhalb der Partei führen«.
Unmissverständlich macht der Gründer des »Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten«, Sergey Lagodinsky, deutlich, was er von der Entscheidung hält. Wie die »Süddeutsche Zeitung« berichtet, erklärte er seinen Parteiaustritt. Auch der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, Mehmet Tanridverdi, kündigte diesen Schritt in der »Berliner Zeitung« an. »Ich bin zutiefst enttäuscht«, sagte Tanridverdi, der auch SPD-Stadtverordneter in Gießen ist.
Generalsekretärin Andrea Nahles verteidigte hingegen das Vorgehen am Dienstag im Deutschlandfunk. Sarrazin habe sich mit seiner Erklärung vor der Schiedskommission »wieder auf den Boden der Meinungsfreiheit begeben, den man wohl aushalten muss in einer demokratischen Partei«.
Das sehen die Kritiker ganz anders. Etwa Baden-Württembergs SPD-Landeschef Nils Schmid: »Sein biologistisches Geschwätz war der Kern unseres Vorwurfs, er verhalte sich parteischädigend. Davon hat er sich nicht distanziert«, so Schmid gegenüber »Spiegel online«. Seine Erklärung möge »gerade noch den Parteistatuten« entsprechen. »Aber den Geist unserer Programmatik trifft die Erklärung nicht.« Uwe-Karsten Heye, Vorstandsvorsitzender des Vereins »GesichtZeigen! Für ein weltoffenes Deutschland« und ehemaliger Chefredakteur der SPD-Zeitung »Vorwärts«, schreibt über den Ausgang des Verfahrens auf der Internetseite des Blattes: »Das ist alles ziemlich heuchlerisch und hat nichts wirklich geklärt.«
Beendet ist tatsächlich nur das Ausschlussverfahren. Mit dem Verbleib Sarrazins in der Partei bleibt der SPD nicht nur die Debatte um die umstrittenen Thesen erhalten. Auch das Risiko bleibt bestehen, dass er sich in absehbarer Zeit erneut mit Äußerungen hervortut, die nicht nur wieder den Beifall der NPD finden, wie im Fall der Thesen in seinem Buch »Deutschland schafft sich ab«, sondern zu erneuten Ausschlussforderungen führen.
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