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War Wojtyla der Antichrist?
Prof. Hubertus Mynarek zur Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. / Der Religionswissenschaftler lehrte in Bamberg und Wien. Er schrieb u. a. »Der polnische Papst« und »Papst-Entzauberung«
ND: Papst Benedikt XVI. spricht am Sonntag seinen Amtsvorgänger, Johannes Paul II., selig. Hunderttausende kommen nach Rom. Was fesselt Menschen an einem solchen irrationalen Spektakel?
ynarek: Der Mensch ist von der Evolution her ein Herdentier. Und der Wunsch nach einer Leitfigur bleibt präsent, vor allem bei der unkritischen Masse. Für viele ist das der Papst. Der bis heute idolatrisch verehrte Karol Wojtyla ist dafür besonders prädestiniert.
Immerhin gilt ja eine Seligsprechung als Würdigung einer überragenden christlichen Biografie.
Ein Handwerker, der kürzlich meine Heizung reparierte, sagte zu mir, den Wojtyla-Papst dürfe man nicht kritisieren. Er habe schließlich den Kommunismus besiegt. In der Tat erwächst die Größe dieses Kirchenführers in erster Linie aus seiner angeblichen Schlüsselrolle beim Untergang des Ostblocks. In seinem antikommunistischen Furor praktizierte er direkte und indirekte Einmischung in seinem Heimatland Polen und paktierte selbst mit Geheimdiensten wie der CIA. Es ging ihm dabei nicht um christliche Erbauung, sondern um den Sturz von Regierungen.
Er äußerte sich doch durchaus kritisch auch zum Kapitalismus.
Und agierte selbst wie der Chef eines kapitalistischen Konzerns, der ein Papst ja auch ist. Die großen Skandale der Vatikanbank fielen in das Pontifikat von Johannes Paul II. Die kriminellen Verwicklungen des »Instituts für die religiösen Werke« – so der offizielle Name der Vatikanbank – reichten bis zur Mafia. Bankchef Erzbischof Paul Marcinkus wurde auf päpstliche Weisung jahrelang hinter den Mauern des Vatikans der »weltlichen« Gerichtsbarkeit entzogen.
Das klingt ja geradezu, als stünde der Antichrist in persona vor der Seligsprechung.
Vermutlich gibt es besonders in Lateinamerika viele Menschen, die das so sehen. Denn dort entstand jene kirchlich-religiöse Bewegung, die wie keine andere im 20. Jahrhundert für die Armen und Entrechteten eintrat: die Befreiungstheologie. Während sich Wojtyla auf seinen Reisen von den Diktatoren des Subkontinents hofieren ließ, ging er mit eiserner Hand und dem ganzen Disziplinierungsinstrumentarium der Romkirche gegen die Befreiungstheologen vor. Und sein williger Vollstrecker war dabei Kardinal Joseph Ratzinger, seinerzeit Präfekt der Glaubenskongregation – ein Mann seines vollsten Vertrauens, den er persönlich nach Rom geholt hatte, der sein Wunschnachfolger als Papst wurde und von dem er am Sonntag seliggesprochen wird. Ein Kreis schließt sich. Man könnte auch sagen: ein Teufelskreis.
Wäre Johannes Paul zufrieden mit Papst Benedikt, mithin selig?
Absolut. Wojtyla war, was die katholische Doktrin betrifft, ein total konservativer, reaktionärer Papst. Und genau das ist auch Ratzinger. Als Kirchenoberhaupt hat er den demokratie-, frauen- und sexualfeindlichen Kurs seines Vorgängers unbeirrbar verfolgt. Auch der Geheimbund Opus Dei, den Johannes Paul II. im Vatikan erst hoffähig gemacht hat, erfreut sich Benedikts höchsten Wohlwollens.
Benedikt betreibt vehement die Seligsprechung von Pius XII. ...
... bekannt seit Rolf Hochhuths »Stellvertreter« als Papst, der zur Judenverfolgung schwieg. Auch das ist bezeichnend für Ratzingers Rolle. Vor allem mit Blick auf Erzbischof Oscar Romero, der vor 31 Jahren in El Salvador ermordet wurde. Mit dessen Seligsprechung tut sich der Vatikan ausgesprochen schwer. Romero mit seiner Nähe zur Befreiungstheologie stört offenbar den Reigen der Seligen.
Interview: Ingolf Bossenz
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