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Blindenhunde dürfen rein
Offizielles Dokument soll Führhundhaltern zu ihrem Recht verhelfen
Wenn Rolf Schilling in Hamburg auf die Straße geht, ist Blindenhund Betty stets dabei. Ohne die Hilfe der Labradorhündin wäre der 66-Jährige orientierungslos. Betty führt ihr Herrchen überall hin, ohne den Vierbeiner käme Schilling nicht zum Einkaufen oder in den Bus. Weil ein Blindenhund so wichtig ist, darf Betty per Gesetz auch überall hin – doch nur in der Theorie. Sehr häufig hat Schilling gerade wegen seines Hundes keinen Zugang zu Läden, Restaurants, Arztpraxen, Parkanlagen, Hotels, Kliniken oder Konzerten: »Ich bin schon aus einem Lederwarengeschäft und einem Möbelladen rausgeflogen.« Klar sollte nicht jeder normale Hund in jedes Geschäft, sagt Schilling: »Aber ohne Betty bin ich völlig hilflos.«
Von einem Blinden zu verlangen, seinen Hund draußen zu lassen, ist, als sollte ein Rollstuhlfahrer seinen Rollstuhl vor der Tür lassen, sagt Bert Bohla, Sprecher des Vereins Lichtblicke, der sich um das Thema kümmert. Die Leute würden einfach nicht begreifen, »dass ein Blindenführhund kein Haustier, sondern ein notwendiges Hilfsmittel ist.« Rund 40 Kommandos beherrscht ein ausgebildetes Tier, mehrere hundert sind bei gut trainierten Hunden möglich. Am Ende der zwei Jahre dauernden Ausbildung führen die Hunde ihre Herrchen sicher an Hindernissen wie Straßenschildern, abgestellten Fahrrädern oder entgegenkommenden Fußgängern vorbei. Darüber hinaus machen sie auf Treppen, Türen oder Zebrastreifen aufmerksam. Für viele Blinde oder sehbehinderte Menschen sind die Vierbeiner die einzige Möglichkeit, um sich außerhalb der eigenen Wohnung bewegen zu können. Ein bis zwei Prozent der Blinden in Deutschland sind Führhundhalter, mehr als 2000 dieser Vierbeiner sollen auf deutschen Straßen unterwegs sein.
Nach dem Sozialgesetzbuch haben die Tiere den gleichen Rang wie Rollstühle oder Prothesen und können auch vom Arzt auf Rezept verschrieben werden. Das weiße Führgeschirr des Hundes gilt nach der Straßenverkehrsordnung als offizielles Warnzeichen. Um etwa Supermärkte oder Restaurants mit ihrem Hund betreten zu können, müssen die Blinden viele Konflikte austragen. »Man ist den ganzen Tag nur am kämpfen«, klagt Bohla: »Marktleiter stürmen auf einen zu und schmeißen einen einfach raus.« Das betreffe nicht nur Geschäfte, sondern sogar Kliniken und Ärzte. Nicht wenige Blinde müssten deshalb auf ärztliche Behandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen verzichten.
Viele Kliniken lehnen Blindenhunde aus hygienischen Gründen ab. Dabei ist dieses Argument wissenschaftlich nicht haltbar, bestätigt das Hygienische Institut der Freien Universität Berlin. Für den Bundesbehindertenbeauftragten Hubert Hüppe (CDU) ist das Hundeverbot in Supermärkten und Kliniken ein Rechtsbruch. »Dass Blindenhunde mitkommen dürfen, ist gesetzlich klar geregelt«, sagt Hüppe. »Wenn der Hund nicht mitdarf, ist das ein eindeutiger Rechtsverstoß.« Er plant die Herausgabe eines offiziellen Dokumentes, mit dem die Blinden auf das Gesetz hinweisen können. Weil die Behindertenausweise ohnehin überarbeitet werden sollen, will Hüppe mit dem »Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit« Lösungen besprechen. In dem Gremium sind 15 bundesweit tätige Sozial- und Behindertenverbände zusammengeschlossen, um die Rechte Behinderter zu vertreten.
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