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Schreckgespenst Deindustrialisierung

Kommt es nach Fukushima zum Groß-Comeback der Kohlekraft?

  • Lesedauer: 4 Min.
Jahrelang priesen die Energiekonzerne ihre Kraftwerke als Beitrag zum Klimaschutz an. Dann kam Fukushima. Müssen wir nun wieder stärker auf die klimaschädliche Kohlekraft setzen? Schon gedeihen die Horrorszenarien.
Kraftwerke im rheinischen Braunkohlerevier: Klimakiller oder hochmodern?
Kraftwerke im rheinischen Braunkohlerevier: Klimakiller oder hochmodern?

Natürlich sei die Kohle »wieder gesellschaftsfähig nach Fukushima«, sagt der Gewerkschafter. Er plädiert für den Bau neuer Kohlekraftwerke, die, weil effizienter als ihre Vorgänger, ein Beitrag zum Klimaschutz wären. Er scheint es wirklich zu glauben. Die Steinkohle habe »eine große Zukunft«, bekundet auch der Der Industriekonzern-Manager. Schließlich bräuchten wir, wie er gönnerhaft erklärt, »grundlastfähigen Strom«. Sonst drohe uns nicht weniger als »die Deindustrialisierung«.


Der Manager plädiert für eine »möglichst ideologiefreie Diskussion« über die künftige Energieversorgung. Der Gewerkschafter, dem Begriffe wie »Wettbewerbsfähigkeit« und »amortisieren« locker über die Lippen kommen, er nickt. Doch der Wissenschaftler warnt davor, »falsche Hoffnungen« auf eine »neue Perspektive für die Kohle« zu wecken. Zwar würden die globalen Kohlevorräte für 200 Jahre reichen, sie zu verbrennen wäre jedoch »eine Katastrophe« für das Weltklima. Deutschland habe diesbezüglich eine »Vorreiterfunktion für China und Indien mit ihren riesigen Kohlevorräten«. Der Wissenschaftler plädiert für einen Umbau des Energiesystems »ohne Kohle und Atom«. Soll die Kohlekraft ihr ganz großes Comeback erfahren? Oder lieber nicht? Alle Blicke sind auf die Politikerin gerichtet. Na ja, sagt sie, über dieses eine umstrittene Kohlekraftwerk entschieden ja nicht die Politiker, sondern die Gerichte. Bestehende Kraftwerke hier zu schließen, auf dass anderswo neue entstehen, ergebe keinen Sinn. Auch fünf in Bau oder Planung befindliche Kraftwerke allein in der Region sollen nicht in Frage gestellt werden. Doch der Emissionshandel würde künftig eine »betriebswirtschaftliche Entscheidung« erzwingen: Rechnen sich neue Kraftwerke noch, obwohl die Kohlendioxid-Zertifikate immer teurer werden? Bedeutungsschwanger schaut die Politikerin in die Runde. Der Manager schüttelt den Kopf: Nein, Kohlekraftwerke rechnen sich ökonomisch nicht mehr in Deutschland. Jedenfalls nicht im »gegebenen System«. Das klingt wie ein Handlungsauftrag...

Es ist der 2. Mai 2011. Die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung hat zur Diskussion in die (längst zum Industriedenkmal mutierte) Zeche Zollverein geladen. Es diskutieren: Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, SPD; Reiner Hoffmann, NRW-Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie; Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG (hieß früher: Ruhrkohle AG) und Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Das Thema: »Vom blauen Himmel über der Ruhr zum Blauen Planeten«.


Doch die Kohlekraft-Debatte tobt nicht nur in dieser illustren Runde. Kommt es, wegen »Atomausstieg«, zu einer »Renaissance der Kohle«, zum »Zurück in die Vergangenheit« – wie der »Spiegel« unlängst spekulierte? Lange haben uns die großen Energiekonzerne die Atomkraft als Beitrag zum Klimaschutz angepriesen, weil AKWs, im Gegensatz zu ihren mit Kohle befeuerten Pendants, nicht in rauen Mengen das Haupttreibhausgas Kohlendioxid ausstoßen. So sollte, spätestens seit Mitte der 1990er-Jahre, die Akzeptanz der Atomkraft erhöht werden.

Die vier großen Energie-Oligopolisten im Lande sind, bei unterschiedlichem Mix, stets beides: Kohle- und Atomkraftwerks-Betreiber. Mitunter priesen sie ihre AKWs als Beitrag gegen den Klimawandel, bestritten aber, um ihre Kohlekraftwerke grün zu reden, dass der Klimawandel überhaupt stattfinde. Unisono wettern die Chefs von E.ON und RWE, ansonsten Konkurrenten, gegen das »stark veränderte regulatorische Umfeld«, also gegen die Verkürzung des Atomausstiegs und gegen den Emissionshandel.


Was nun: Kohle statt Atom? Kohle und Atom? Oder eine dezentrale Versorgung mit intelligenter Vernetzung und Speicherung, basierend auf Sonne, Wind und Wasser? Der Ausstieg aus Atomkraft ist ohne den Bau neuer Kohlekraftwerke möglich, das belegen Studien beispielsweise von Greenpeace. Ob es dahin eine Brückentechnologie braucht, ist unter den ökosozial orientierten Energieexperten umstritten. Wenn Brückentechnik, dann sollten es effiziente Gaskraftwerke sein. Die kann man flexibel rauf- und runterfahren, als Ergänzung zu den wirklich regenerativen Energien. Mit den nuklearen oder fossilen Grundlastbrummern ist das nicht möglich. Kohle- und Atom-Strom stehen daher in Konkurrenz zu den Erneuerbaren, sie behindern den Umstieg in eine ökosozial verträgliche Energieversorgung.


Gleichzeitig gilt: Die großen Energiekonzerne würden zu den Verlierern der Energiewende zählen. Gewiss, sie bauen auch im kleinen bis mittelgroßen Stil Solar- oder Windkraftparks. Doch was ist mit den anderswo verplanten Konzern-Milliarden, wenn künftig Herr Hinz und Frau Kunz Solarzellen auf dem Dach und Windräder auf dem Feld haben? Wenn... »Hier investiert RWE 2,2 Milliarden Euro in die Zukunft«, ist vor Europas größter Baustelle zu lesen. Was hier, in Grevenbroich-Neurath, entsteht – je nach gusto: – »das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt« (RWE). Oder einer der größten Klimakiller des Planeten. Der Bau begann lange vor Fukushima.

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