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Bedrückende Ruhe über Damaskus

Der syrische Staat ist um Normalität bemüht, doch wenig geht seinen gewohnten Gang

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 3 Min.
Die syrische Armee hat am Montag in den Vorstädten von Damaskus, in Banias und Homs erneut Hunderte Menschen festgenommen. In Homs sollen gepanzerte Einheiten in mehrere Stadtviertel eingerückt sein. Die syrische Nachrichtenagentur SANA meldete, dass »eine groß angelegte Operation« im Gang sei, »um jeden Versuch der Destabilisierung des Landes zu unterbinden«.

»Wir hoffen, dass es bald besser wird. Alles ist bekannt, die vielen Toten...«. Die junge, elegant gekleidete Frau schluckt und holt tief Luft, um die Tränen zu unterdrücken, die ihre stark geschminkten Augen füllen. »Ich habe immer gedacht, Syrien ist sicher, nie habe ich mir vorstellen können, dass so etwas hier bei uns geschieht. Aber wir werden es schaffen, Syrien wird wieder sicher sein, und stark«, fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. Jetzt klingt ihre Stimme wieder fest und sicher. »Wir waren sowieso auf dem Reformweg, der wird weiter gehen.« Fast trotzig schüttelt sie die Haare aus dem Gesicht und wechselt dann demonstrativ das Thema. Es gehört zu den unausgesprochenen Spielregeln in Syrien, dass niemand namentlich genannt werden möchte, wenn er oder sie mit einer ausländischen Journalistin spricht.

Zwei Monate dauern nun schon die Unruhen, die am 8. März in Deraa im Süden begannen, als übermütige Jugendliche mit regierungskritischen Parolen die Behörden herausforderten und von diesen mit einer Härte bestraft wurden, die dann ihre Eltern auf die Barrikaden brachte. Seitdem ist es in vielen Städten Syriens nicht mehr ruhig geworden. Ausländische Web- und Facebookseiten syrischer Oppositioneller im Exil in Libanon, Großbritannien, Schweden und den USA versorgen die Proteste mit Parolen und veröffentlichen verwackelte Handy- und Amateuraufnahmen, die per Satellitentelefon an diese Webseiten geschickt werden.

So bleiben viele Fragen unbeantwortet, auf die nur offizielle Stellen in Militär und Regierung antworten könnten. Warum wird geschossen, wenn die Regierung doch Reformen und Dialog ankündigt? Wer schießt auf wen? Warum gibt es neue Verhaftungen, warum sind die Menschen mit den neuen Gesetzen nicht zufrieden?

SANA berichtet fünfsprachig über die offizielle Sichtweise der Ereignisse, erläutern ausführlich die neuen Gesetze, berichtet von Freilassungen von Gefangenen, Selbstanzeigen Hunderter, denen Amnestie zugesagt wurde, beschreibt die Treffen von Präsident Baschar al-Assad mit der Bevölkerung. Es heißt der Präsident wolle hören, welche Beschwerden und Vorschläge die Leute haben. So hätten ihn Jugendliche nach der Gewalt gefragt, die Sicherheitskräfte gegen die Bevölkerung anwenden. Doch nur wenige ausländische Medien greifen auf SANA-Meldungen zurück. Anders als vielfach berichtet, sind die Grenzen keineswegs geschlossen. Dass allerdings der Verkehr nicht normal verläuft, erfuhr die Autorin bei der Fahrt von Beirut nach Damaskus, als der Fahrer sagte, es sei zum ersten Mal seit zwei Monaten, dass er wieder eine Ausländerin nach Damaskus brächte. Reisewarnungen westlicher Regierungen führten zur Absage Zehntausender gebuchter Ferienaufenthalte, Hotels und Touristenanlagen sind verwaist.

Auf dem rund 40 km langen Weg von der Grenze nach Damaskus gab es keine Straßensperren, Militär war nicht zu sehen, Polizei nur an einzelnen kleinen Posten am Straßenrand. Damaskus selber zeigte sich ungewöhnlich ruhig, wenig Verkehr, wenige Menschen, eine bedrückende Stimmung scheint über der Stadt zu liegen. Auch in der wirtschaftliche Metropole Aleppo ist ruhig, doch Wirtschaft und Handel, vor allem mit der benachbarten Türkei, sind drastisch zurückgegangen.

Dass derzeit nichts seinen normalen Gang geht in Syrien, wird trotz allgemeiner Ruhe in der Hauptstadt am Montag klar. Ein mit Freunden am Vorabend verabredetes Treffen aus dem westlich gelegenen Damaszener Vorort Maddhamiya, verstreicht, ohne dass sie sich gemeldet hätten. Schon am Abend hatten sie von Schießereien im oberen Teil des Ortes berichtet. Am Nachmittag bestätigen Bekannte, die in der Nähe des Ortes wohnen, was zu vermuten war. Das Militär hatte Maddhamiya in der Nacht abgeriegelt um die um sich schießenden »Banden« dingfest zu machen. Es gab Hausdurchsuchungen und Festnahmen, Telefonleitungen waren unterbrochen.

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