Mit Halbmond und Kreuz gegen Terror
Christliche Minderheit in Ägypten verlangt Schutz vor Terror und klagt das Militär an
Am Samstagabend waren mehrere hundert Salafisten, eine radikale Muslimgruppierung mit engen Verbindungen nach Saudi-Arabien, zur koptischen St.-Mina-Kirche in Imbaba gezogen, angestachelt offenbar von Gerüchten auf Twitter, dass dort eine zum Islam konvertierte Frau namens »Abeer« gegen ihren Willen festgehalten werde. Sie versuchten, in die Kirche einzudringen, Kopten eilten herbei, diese zu verteidigen. Schüsse krachen, Steine fliegen, Menschen fliehen, am Ende gehen die St.-Mina-Kirche und eine weiter in Flammen auf.
Es sind nicht die ersten Auseinandersetzungen zwischen Kopten, die rund zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen, und radikalen Muslimen. Dieses Mal jedoch sind die Kopten entschlossen zu handeln.
Sonntagabend, etwa 10 000 haben sich vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks am Nilufer in Maspiro versammelt. Die breite Straße ist mit Stacheldraht und improvisierten Barrikaden abgesperrt, Freiwillige kontrollieren Ausweise und Taschen.
Direkt vor dem Fernsehgebäude drängen sich Männer und Frauen um eine improvisierte Bühne, viele halten Kreuze in die Höhe oder Plakate mit Halbmond und Kreuz, dem Zeichen für die Verbundenheit von Islam und Christentum. Sie singen, skandieren Slogans. »Muslime und Christen, Hand in Hand!«, »Die Menschen wollen, dass Tantawi (Mohammed Tantawi ist Vorsitzender des Obersten Rats der Streitkräfte – J. S.) geht!« »Das sind dieselben Sprüche, die wir auf dem Tahrir-Platz gerufen haben!« sagt Ahmed, ein junger Aktivist, erstaunt. Tatsächlich spielt der Konflikt mit den Salafisten nur eine geringe Rolle an diesem Abend – der Protest richtet sich vor allem gegen das Militär.
Die Kopten werfen dem Militärrat vor, die Konflikte bewusst eskalieren zu lassen. »Das ist ein abgekartetes Spiel zwischen dem Militär und den Muslimbrüdern«, sagt eine Frau Journalisten der Zeitung »Al-Ahram«. »Sie bringen die Menschen gegeneinander auf, hetzen gegen die Salafisten, so dass sie dann sagen können, ah, die Muslimbrüder sind dagegen ja ganz harmlos.«
Aber auch gegen die führenden Kopten richtet sich Unmut. Auch die, heißt es, würden immer nur reden. »Das hier ist alles noch Teil der Revolution«, sagt Magda, eine quirlige Frau mit hellbraun gefärbtem Haar. Sie ist Koptin und trägt ein Schild, das sie als Ordnerin ausweist, die ägyptische Flagge und das Zeichen der Kopten darauf. »Wir dürfen uns von solchen Radikalen nicht alles wieder kaputt machen lassen.«
Von der Bühne fordert jemand Freiheit für die Gefangenen und eine zivile Übergangsregierung. Die Protestierenden, aber auch zahlreiche Beobachter bleiben trotz aller Mühe ratlos. Fest steht: Niemand in der Politik will schuld sein an den Ereignissen in Imbaba. Der Militärrat ruft die Ägypter zur Geschlossenheit auf, macht Kräfte aus dem Ausland für die Ausschreitungen verantwortlich. Am Mittwoch verkündet er, der Drahtzieher der Unruhen sei gefasst worden. Doch Näheres erfährt man nicht.
Die Muslimbrüder verurteilen derweil die Angriffe auf die Kirchen. Eine Gruppierung der Salafisten wehrt sich öffentlich gegen die Vorwürfe, an den Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein, und meint, die Angriffe seien von Schlägertrupps ausgegangen, bezahlt von der ehemaligen Staatspartei. Die Anwohner von Imbaba und einige Augenzeugen schließen sich an mit der Aussage, die Angreifer seien nicht aus dem Viertel gewesen, es seien bewaffnete Männer von außerhalb darunter gewesen, einige wollen Offiziere der aufgelösten Sicherheitspolizei erkannt haben.
Ganz abwegig ist der Gedanke nicht: Als die Menschen nach der Revolution die Gebäude der Sicherheitspolizei stürmten, fanden sich dort Hinweise, dass diese tatsächlich für einige tödliche, angeblich »radikal-islamische« Anschläge verantwortlich war. Das allein, widersprechen in Foren im Netz viele Aktivisten, reiche aber nicht, die Ausschreitungen zu erklären. »Wir brauchen nicht für alles die Sicherheitspolizei«, schreibt eine Aktivistin auf Twitter. »Es gibt genug Idioten, die so etwas auch ohne Anleitung tun.«
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