Mit Kutsche, Boot und Bahn durch die Waldkarpaten
Naturidyll an der polnisch-ukranischen Grenze
»In den vergangen achtzehn Jahren war ich viel in der Natur unterwegs, aber bisher habe ich kein einziges Mal einen Bären in freier Wildbahn gesehen, diese Tiere kenne ich nur aus dem Zoo«, beteuert Ryszard Predki, der inzwischen als Chef in der Nationalparkbehörde tätig ist. Seit den Jahr 1993, also seit 18 Jahren, lebt und arbeitet Ryszard Predki bereits im äußersten Südosten Polens, im Bieszczady-Nationalpark, dem drittgrößten Naturpark Polens.
Die Waldkarpaten sind extrem dünn besiedelt und eignen sich deshalb als Rückzugsgebiet für verschiedene Tierarten. »Es hat immer schon Wölfe in dieser Gegend hier gegeben, aber vor dem zweiten Weltkrieg waren es viel weniger, weil das Gebiet stark besiedelt war. Nach den Umsiedlungen wurden es deutlich mehr, denn die Bieszczady-Region war bis in die 70er Jahre fast menschenleer«, berichtet Ryszard Predki. Der langsam aufkommende Tourismus ist für die Nationalpark-Region bislang keine Bedrohung, sondern eine Chance – wobei die Kernzone für Besucher tabu bleibt.
Da der Nationalpark ohnehin nur etwa zehn Prozent der Fläche des Bieszczady-Gebirges umfasst, bleibt genug Raum für Wanderer, Pilzesucher, Radfahrer und Reiter. Die finden in den Beskiden, so ein weiterer Name des Gebirges, ein Land der offenen Fernen – im Gegensatz zu den bayerischen Alpen liegt die Baumgrenze hier nicht bei 1700, sondern nur bei 1100 Metern. Die Landschaft wird geprägt von Buchen-, Tannen und Erlenwäldern und von der Polonina, einer grasbewachsenen Freifläche, die früher zum Teil als Hochweide genutzt wurde. Höchster Berg der Region ist der sattelförmige Tarnica, der nahe an der ukrainischen Grenze gelegen ist und aus zwei Gipfeln besteht, die 1339 bzw. 1346 Meter hoch sind. Wanderungen entlang der Gebirgsketten gehören zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten in den Beskiden. Wer will, kann die Region jedoch auch auf dem Rücken eines Pferdes oder von den Holzbänken einer Kutsche aus entdecken.
Pferdezucht gegen das Aussterben
Im Ort Wolosate, nicht weit von der ukrainischen Grenze entfernt, betreibt die Nationalparkverwaltung eine eigene Pferdezucht. Ziel der Einrichtung, die derzeit über 74 Tiere verfügt, ist es, die Rasse der Huzulenpferde, von denen es weltweit nur noch wenige hundert Tiere gibt, am Leben zu halten.
Die instinktsicheren und nervenstarken Huzulenpferde sind zäh, flink und trittsicher und an die harten Bedingungen in den Karpaten angepasst. Wer von den Stallanlagen beim Dorf Wolosate aus einen Kutschausflug mit einem Nationalpark-Mitarbeiter unternimmt, hat nicht nur beste Ausblicke auf die baumlosen Berggipfel, sondern kann bis auf etwa einhundert Meter an die ukrainisch-polnische Grenze heranfahren, die durch einen weiß-roten und einen blau-gelben Grenzpfosten gekennzeichnet ist. Bei der Rückfahrt durch das Wolosty-Tal passiert die Kutsche einen kleinen Friedhof – das einzige Überbleibsel des Bojkendorfes Wolosate, das einst über 1000 Einwohner hatte, aber nach dem Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde.
Die Waldkarpaten im Dreiländereck Polen, Ukraine und Slowakei sind ein unentdecktes Stück Europa, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. So lässt sich die Gegend durchaus beschreiben – und doch ist das nur eine Facette der Region, die im Sommer und Herbst mit einer Fülle an Pilzen sowie mit Blaubeeren, Himbeeren und Brombeeren lockt.
Nur ein Stück entfernt, am Ufer des bis zu sechzig Meter tiefen Solina-Stausees, der 1968 geflutet wurde, zeigen die Waldkarpaten ein anderes Gesicht: Der größte Stausee Polens, der unter anderem zum Betrieb eines Wasserkraftwerks genutzt wird, ist ein beliebtes Ausflugsziel. Am Ufer des 2200 Hektar großen Sees finden sich Hotels, Ferienanlagen, Campingplätze, Souvenirstände, Restaurants und Karussells. Zu den beliebtesten Aktivitäten gehören Rundfahrten über den See, beispielsweise mit Kapitän Tadeusz Gurgul, der seit 15 Jahren in der Region lebt. »Ich habe die Berge und den See gesehen und mich total in diese Landschaft verliebt, deshalb bin ich hier geblieben«, berichtet Gurgul, der von sich behauptet, die interessanteste Bootsfahrt auf dem Solina-Stausee anzubieten. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Jan Zajda lebt Gurgul in einem Holzhaus am Seeufer – und denkt manchmal wehmütig an die gute alte Zeit zurück. »Früher gab es kaum Häuser mit Strom hier, da sah man nachts nur kleine Feuer an den Ufern, jetzt ist es kommerzieller geworden, es gibt eine Menge Souvenirstände, an denen Sachen verkauft werden, die kein Mensch braucht«, berichtet der 65-Jährige.
Neben dem Solina-Stausee gibt es in den Waldkarpaten noch eine weitere Touristenattraktion – die Waldbahn, eine Schmalspurbahn, die in den Sommermonaten täglich auf der elf Kilometer langen Strecke von Majdan nach Przyslup über die Gleise holpert. Die Bahn, die Ende des vorletzten Jahrhunderts vorwiegend für den Holztransport gebaut wurde, ist seit dem Jahr 1997 wieder aktiviert. Die Fahrt mit dem Bummelzug, die auf einer kurvigen Strecke durch unberührte Natur führt, ist überaus beliebt, empfehlenswert ist es, sich gleich im Vorab eine Fahrkarte zu reservieren.
Himmel und Hölle unter einem Dach
Bei der Zugfahrt von Majdan nach Przyslup, der Bootsfahrt auf dem Solina-Stausee und bei der Kutschfahrt durchs Wolosty-Tal sind die Beskiden vor allem als Naturidyll erlebbar. Doch auch Kulturinteressierten hat die Region viel zu bieten – vor allem in der Umgebung von Sanok, einer 40 000-Einwohner-Stadt am Ufer des Flusses San. Im Sanoker Schloss befinden sich Himmel und Hölle gewissermaßen unter einem Dach – das Schlossmuseum beherbergt nicht nur eine der größten Ikonensammlung Polens, in der rund 1200 Ikonen sowie Altar- und Prozessionskreuze gezeigt werden, sondern auch eine Ausstellung mit Bildern des 2005 verstorbenen polnischen Malers Zdzislaw Beksinski, dessen düster-futuristische Werke oftmals Weltuntergangsstimmung ausstrahlen, aber dennoch – oder vielleicht deshalb – ästhetisch fesseln. Sanok ist zudem Ausgangspunkt einer siebzig Kilometer langen Ikonenroute, die zu Fuß, mit dem Auto oder dem Fahrrad zurückgelegt werden kann.
Viele der Kirchen in der Region sind vor den Zwangsumsiedlungen im Jahr 1947 als griechisch-katholische Kirchen genutzt wurden. Diese Konfession hatte eine orthodoxe Kirchenarchitektur und Liturgie mit einer Anerkennung des Papstes verbunden. Kulturellen Einfluss hat die Kirche, die inzwischen römisch-katholisch und nicht mehr griechisch-katholisch ist, in Sanok auch weiterhin – so setzten sich Gläubige dafür ein, dass eine Schwejk-Figur, die in der 3-Maja-Straße in Sanuk auf einer Bank sitzt, offiziell nicht als Denkmal anerkannt wird. Denn im historischen Roman, dem man inzwischen auf einer Schwejk-Route, die auch durch Sanok führt, nachreisen kann, holt Schwejk in Sanok seinen Vorgesetzten des nachts aus einem Bordell – und aus diesem Grund ist ein Denkmal für die Romanfigur aus klerikaler Sicht tabu. Beliebt ist der Sanoker Schwejk dennoch – denn wenn man ihm an die Nase fasst, soll das Glück bringen.
Informationen: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 71, 10709 Berlin, Tel.: (030) 21 00 92 - 0, Internet: www.polen.travel, www.podkarpackie.pl
Anreise: Fluganreise nach Krakow (mit Ryanair, Easyjet, Germanwings, Tuifly, Airberlin oder Lufthansa), von dort mit Bus, Mietwagen oder Bahn nach Sanok. Alternativ mit dem Auto über Dresden, Görlitz, Krakow und Tarnow nach Sanok (circa 630 Kilometer ab Görlitz, nach Krakow ist mit zahlreichen Baustellen zu rechnen)´
Übernachten: Die Angebote in der Region sind preiswert und rustikal. Eine gut gelegene Ferienanlage ist das Centrum Konferencyjno Wypoczynkowe »POLONINY», Bukowiec 81, 38-613 Wolkowyja, Tel. 0048(13) 469 25 97
Pauschalangebote: Eine geführte Wanderreise, die – inklusive An- und Abreisetag – neun Tage dauert, bietet Albatros Outdoor, Bertholdplatz 6, 5848 Beeskow, Tel.: (03366) 15 33 75, www.bieszczady-outdoor.de
Reiseführer: Thorsen Klute: Die Polnischen Waldkarpaten, Trescher Verlag, 14,95 Euro
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