Zweitausend Tage Merkel

  • Otto Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Publizist ist Mitherausgeber der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift »Ossietzky«.
Der Publizist ist Mitherausgeber der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitschrift »Ossietzky«.

Die kann es nicht. Das war der Ruf, der ihr entgegenschallte. Sie konnte. Als stellvertretende Pressesprecherin des letzten DDR-Ministerpräsidenten wurde Angela Merkel früh Helmut Kohls »Mädchen«. Damit waren Lothar de Maizière und seine DDR schnell erledigt. Sie konnte noch mehr. Am 22. Dezember 1999 legte sie als CDU-Generalsekretärin in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland« die Bombe. Der sogenannte »Kanzler der Einheit« wurde so zur anerkannten Spendensumpfblume. Und sein Kronprinz Schäuble war damit als Nachfolger auch beseitigt. Merkel errang im April 2000 den CDU-Vorsitz und verkündete auf dem Leipziger Parteitag Ludwig Erhards renovierte Parole für den Klassenkampf: »Neue Soziale Marktwirtschaft«. Mit Hilfe von weltläufigen Professoren der offenen Hand gründeten die Industriellen von »Gesamtmetall« dazu die Denkfabrik »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«.

So gedieh Angela Merkel zur Bundeskanzlerin – morgen, am 15. Mai, regiert sie uns seit zweitausend Tagen. Zunächst in der Koalition mit den Sozialdemokraten, dann wollte sie 2005 im ersehnten Bündnis mit Guido Westerwelle ihre Politik durchsetzen. Welche?

Je nachdem. Erst einen »entschiedenen Reformkurs der Deregulierung«. Die spendenfreudigen Hoteliers bekamen die so verdiente Steuerermäßigung. Doch vor der wichtigen NRW-Wahl verlor Angela Merkel den Mut, ohne Tarnkappe die deutsche Maggie Thatcher zu machen. Dabei vergaß sie nie, wer wirklich die Geschicke dieses Landes lenkt: Deutschbankier Ackermann durfte auf unsere Kosten seinen 60. Geburtstag in ihrem Kanzleramt feiern. Und in der Not der Finanzkrise fließen die Steuermilliarden in die Paläste der Banken, nicht in die Hütten der Hartzviermenschen.

Als Pfarrerstochter weiß sie, was sich gehört: Man darf nicht lügen und nicht betrügen, es sei denn, man ist ihr Minister. Dem hinterfränkischen Hochstapler und Plagiator hielt sie die Treue, länger als geboten war. Sie hatte ihn ja nicht als Wissenschaftler, sondern als Verteidigungsminister angestellt.

Und sie besitzt ein System fester Werte, die tief im christlichen Bekenntnis ihrer Partei verwurzelt sind: die heilige Vierfaltigkeit – RWE, EON, EnBW und Vattenfall – gewährt ihr Sicherheit im Glauben. Darum spendete sie den vier Großkonzernen die viele Milliarden schwere AKW-Laufzeitverlängerung. Und zeigte so Entschlossenheit im Dienst an der guten Sache. Doch der Tsunami, der über Fukushima kam, zwang sie wieder zum Durchwursteln, zum Moratorium. Das dient, wie Koalitionsfreund Brüderle der Industrie verriet, nur dem Stimmenfang bei den Landtagswahlen, dann kann es weitergehen wie bisher.

Was Ethik ist, verantwortungsbewusstes Verhalten, das weiß die Pfarrerstochter nicht. Allenfalls verfügt sie über eine – Rache am treulosen Wechselwähler – gut funktionierende Wechselethik. Deshalb hat sie nach der Atomkatastrophe von Fukushima eine Ethikkommission eingesetzt, die ihr erst einmal einen Atomausstieg empfehlen mag. Das schafft Zeit bis zu dem der Vierfaltigkeit geschuldeten Wiedereinstieg.

Und so werden wir, wenn nicht eine – aber das Mehrheitsvolk kennt sowas nicht – friedliche Revolution oder ein parlamentarischer GAU dazwischenkommen, von der sich durchwurstelnden Kanzlerin durchregiert, wohl mindestens weitere neunhundert Tage.

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