Geld hat kein qualitatives Maß
Wirtschaftswissenschaftlerin Adelheid Biesecker: Es ist kein Wachstum festzustellen
ND: Sie vertreten die Ansicht, wirtschaftliche Effizienz sei heute gleichbedeutend mit wirtschaftlicher Plünderung. Wie begründen Sie das?
Biesecker: Das Effizienzdenken geht eben nicht auf die Ökologie ein. Ein großer Teil der Natur wird heute ohne Kosten genutzt. Effizienz heißt ja, dass ich mit einem bestimmten Betrag den maximalen Nutzen produziere, also ein bestimmtes Ziel mit möglichst geringen Kosten zu erreichen. Und in diese Kalkulation geht Natur eigentlich nur ein, wo sie zu Eigentum geworden ist. Das heißt, Effizienz bringt uns nicht zu einer die Natur erhaltenden Wirtschaftsweise.
Globalisierung bedeutet, dass Produkte massenweise um den halben Erdball transportiert und dann hier bei uns konsumiert werden. Sie schlagen vor, mit einer Transportsteuer dem Raubbau an der Natur Einhalt zu gebieten.
Im Augenblick sind die Transportkosten minimal, aber es gibt ökologische und soziale Kosten, die wir einrechnen müssen. Ich glaube, es wird in der nächsten Zeit auch eine Preissteigerung durch den Ölpreis geben. Kollegen, die Logistiker sind, sagen sogar, der Ölpreis wird es richten, die Unternehmen müssen sich darauf einrichten, dass sie die Transportwege wieder verkürzen, weil sie es ökonomisch nicht tragen können.
Hätten Sie aber auch Bedenken, wenn die Ölpreise nicht weiter steigen?
Selbstverständlich. Es gibt diese Kosten, und sie müssen eingerechnet werden. Und es geht nicht nur um diese langen Transportwege, sondern wir transportieren unsere Art des Wirtschaftens auch in die ganze Welt und zerstören dadurch Wirtschaftsformen der Eigenproduktion. Ein Beispiel: Bauern müssen Saatgut am Markt kaufen, weil sie es nicht aus ihrer eigenen Saat produzieren dürfen. Wir zerstören durch diese Art der Globalisierung alte, unabhängige und sich selbst tragende Wirtschaftsformen.
Sie werfen den Verantwortlichen in der Wirtschaft Maßlosigkeit vor. Das zielt aber nicht nur auf den Umweltbereich?
Das zielt auf die Ökologie, aber auch auf ein Element des Sozialen: die bisher großenteils unbezahlte Sorgearbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird. Wenn ich von Maßlosigkeit spreche, dann kritisiere ich, dass es in unserer Ökonomie im Grunde darum geht, aus Geld mehr Geld zu machen, und das muss über Produktion und Konsumtion geschehen. Geld ist ja eigentlich nur quantitativ maßvoll, es hat kein qualitatives Maß. Diese Art des Wirtschaftens wird nicht von den Maßen geleitet, die Regenerationsprozesse der Natur oder auch die Lebensprozesse der Menschen brauchen, sondern eben vom Geld. Das meine ich mit Maßlosigkeit.
Derzeit ist häufig von einem »neuen Wirtschaftswunder« die Rede. Sie halten dagegen, eigentlich sei gar kein Wirtschaftswachstum festzustellen.
Man muss eben schauen, was wächst. Beim Bruttosozialprodukt, also bei der Summe der bewerteten Güter und Dienstleistungen, die in einer Periode am Markt und für den Markt produziert werden, ist kein Wachstum festzustellen. Wenn ich aber die ökologischen und die sozialen Kosten dagegenrechne, die dieses Wachstum hervorruft – die Sorgearbeit, die Arbeitslosigkeit, die prekären Beschäftigungsverhältnisse, die steigende Armut auch in unseren reichen Ländern –, dann stelle ich fest, dass wir schon lange nicht mehr wachsen.
Gleichzeitig schafft die Wirtschaft aber ständig künstliche Konsumbedürfnisse.
Ja, aber die Bevölkerung ist durch die ökologischen und die sozialen Probleme wach geworden. Viele suchen nach Auswegen, und man kann viele in Gesprächen erreichen. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen Umweltwissen und Umwelthandeln. Dies ist ein schwieriger Prozess, und da brauchen wir auch eine Politik, die diesen anschiebt. Eigentlich soll nicht mehr so viel geflogen werden. Daher müsste man Flugbenzin genauso besteuern wie anderes auch, dann gäbe es schon mal eine kleine Regulierung. Aber im Augenblick haben wir eine Politik, die macht genau das Gegenteil.
Interview: Rolf-Henning Hintze
Die emeritierte Professorin der Uni Bremen ist Mitglied der Vereinigung für Ökologische Ökonomie.
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