Sektenarzt auf der Flucht
Vertrauter vom Gründer der Colonia Dignidad entzieht sich den chilenischen Behörden
Die in der Deutschensiedlung Colonia Dignidad begangenen Verbrechen drohen erneut das Verhältnis zwischen Chile und Deutschland zu belasten, nachdem sich einer der Hauptverantwortlichen offenbar nach Deutschland abgesetzt hat. Nach Berichten chilenischer Medien ist der Arzt Hartmut Hopp Anfang des Monats illegal über Argentinien und Brasilien nach Deutschland gelangt, um sich so der Inhaftierung zu entziehen. Hopp und rund ein Dutzend weitere Funktionäre werden wegen schwerster Verbrechen gesucht. Die Haftbefehle lassen den Horror erahnen, der sich über Jahrzehnte in der Anfang der 1960er Jahre gegründeten sektenartigen Gemeinschaft ereignet hatte. Hopp und seinen Gesinnungsfreunden wird unter anderem Mord, Folter, sexueller Missbrauch von Minderjährigen und Waffenhandel zur Last gelegt.
Anfang vergangener Woche griff die chilenische Justiz schließlich durch. In mehreren groß angelegten Aktionen wurden in den frühen Morgenstunden des Montags Liegenschaften des rund 17 000 Quadratmeter umfassenden Gutes durchsucht, das inzwischen in »Villa Baviera« (Bayrisches Dorf) umbenannt wurde. Der verantwortliche Richter Jorge Zepeda, der das Verfahren gegen Funktionäre der Colonia Dignidad betreut, hatte zuvor die Bewährungsstrafen gegen die mutmaßlichen Verbrecher wegen drohender Fluchtgefahr aufgehoben. Er sollte Recht behalten: Der 56-jährige Peter Schmidt, eine weitere Gesuchte, Hopp sowie dessen Frau, Dorothea Witthahn, und die Buchprüferin der Siedlung, Erika Heimann, waren nicht mehr auffindbar
Nach Angaben des Nachrichtenportals Ciper Chile war Hopp bereits am 3. Mai mit einer Fluchtroute über Argentinien und Brasilien nach Deutschland ausgereist. Das Portal gibt die Flugverbindung von São Paulo nach Frankfurt am Main an. Von dort aus soll der Mediziner nach Krefeld weitergereist sein, wo inzwischen mehrere von der chilenischen Justiz gesuchte Ex-Siedler Zuflucht gefunden haben. Ciper Chile beruft sich auf Angaben der Schwiegertochter Hopps, Bärbel Schreiber, die dem Gesuchten kritisch gegenübersteht.
Die Flucht des 66-jährigen Arztes ist für die chilenischen Behörden unangenehm. Polizei und Justizministerium müssen nun erklären, wie der Mann unbemerkt fliehen und ausreisen konnte. Zumal Hopp einer der Köpfe der kriminellen Struktur in der Colonia Dignidad war. Er fungierte als rechte Hand des Siedlungsgründers und Altnazis Paul Schäfer, der im vergangenen Jahr verstorben ist. Besonders brisant dabei ist, dass Hopp die letzte von vier Personen ist, die nach Ermittlungsstand Kenntnisse über mutmaßliche Millionenmittel des Sektenchefs Schäfer hat. Die übrigen Mitwisser über die schwarzen Konten, Albert Schreiber und Hans-Jürgen Blanck, sind bereits verstorben. In dem bereits mehr als ein Jahrzehnt währenden Verfahren hatte Hopp zu Protokoll gegeben, in Schäfers Auftrag für dessen Flucht in dem Karibikstaat Saint Kitts ein Apartment für eine viertel Million US-Dollar gekauft und einen Pass dieses Landes besorgt zu haben. Wo die schwarzen Konten eingerichtet wurden, ist den Behörden bis heute nicht bekannt.
Die Flucht des mutmaßlichen Verbrechers Hopp nach Deutschland wirft zugleich ein Schlaglicht auf die Politik der hiesigen Behörden. Auf ND-Anfrage bestätigte das Bundeskriminalamt die Prüfung internationaler Haftbefehle, die von den chilenischen Behörden für die Flüchtigen ausgestellt wurden. Genauere Angaben könne man aber nicht machen.
Wolfgang Kneese, der in den 1960er Jahren fünf Jahre lang in der Colonia Dignidad gefangen gehalten und missbraucht wurde, ist auskunftsfreudiger. Ihn überrasche es nicht, dass Hopp nach Krefeld geflüchtet ist, sagte er gegenüber ND. In der niederrheinischen Stadt hätten ehemalige Funktionäre ein funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Unterstützung bekommen sie mutmaßlich von der evangelikalen Sekte »Freie Volksmission Krefeld«. Der Einfluss dieser religiösen Gruppe sei »zur Aufklärung der Verbrechen zweifelsohne hinderlich« gewesen, so Kneese, der die Entwicklung dennoch mit Genugtuung sieht. Hopp sei nun »quasi in Deutschland gefangen«. Denn auch wenn die hiesigen Behörden ihn schützen, müsse er außerhalb Deutschlands mit der Auslieferung an Chile rechnen. Und schließlich nehme der Druck auf die Bundesregierung zu, sagte der Aktivist. Zufällig war zum Zeitpunkt der Flucht Hopps eine Delegation chilenischer Christdemokraten in Berlin zu Gast: »Sie haben bei Bundestagspräsident Norbert Lammert um Zusammenarbeit der deutschen Behörden gebeten.«
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