Warten auf den Fußball-Tsunami
Vor der Präsidentschaftswahl versinkt der Weltverband FIFA im Korruptionssumpf
Die FIFA liegt in Trümmern und gibt im größten Skandal ihrer 107-jährigen Geschichte ein Bild der Schande ab. Die Präsidentenwahl verkommt zu einer Farce, FIFA-Boss Joseph Blatter will von unmoralischen Angeboten nichts gewusst haben – sogar eine Absplittung einzelner Verbände wird diskutiert. Der überraschende Rückzug von Blatters Herausforderer Mohammed bin Hammam mag den letzten Akt der Selbstzerstörung vorerst verhindert haben, die Glaubwürdigkeit des Weltverbandes ist jedoch längst erschüttert.
Franz Beckenbauer nannte die Korruptionsaffäre ein »Desaster für den Fußball«, will aber nicht als Retter in der Not auftreten. »Auf gar keinen Fall« stehe er zur Verfügung, sagte der Kaiser. Auch UEFA-Boss Michel Platini erklärte eine sofortige Kandidatur für das höchste Amt im Weltfußball für »ausgeschlossen« – der Franzose ist aber bereits jetzt der große Nutznießer der Schlammschlacht.
»Ich werde meine persönlichen Ambitionen nicht vor die Würde und Integrität der FIFA stellen. Ich kann nicht zulassen, dass der Name, den ich geliebt habe, mehr und mehr in den Schmutz gezogen wird wegen des Wettbewerbs zwischen zwei Einzelpersonen«, schrieb bin Hammam auf seiner Internetseite, »das Spiel und die Menschen, die es auf der ganzen Welt lieben, müssen an erster Stelle kommen. Deshalb gebe ich den Rückzug von der Präsidentschaftswahl bekannt.« Tatsächlich soll ihn die Königsfamilie in Katar, die die WM 2022 im eigenen Land nicht gefährdet sehen will, zu diesem Schritt gedrängt haben.
Neue Enthüllungen in englischen Medien haben bin Hammam und FIFA-Vize Jack Warner schwer belastet. Nach einem Bericht des »Telegraph« soll das Duo 25 FIFA-Funktionären aus der Karibik insgesamt eine Million Dollar angeboten haben zur Unterstützung bin Hammams bei der Wahl am 1. Juni. Vor allem wegen dieser Anschuldigungen mussten sich bin Hammam, Warner und Blatter am Sonntagabend vor der FIFA-Ethikkommission verantworten. Blatter wird vorgeworfen, von angeblichen Zahlungen gewusst, aber nichts unternommen zu haben.
Die Vorwürfe stehen in Zusammenhang mit einem Treffen der Karibischen Fußball-Union in Trinidad. Nach der Wahlkampfrede bin Hammams am 10. Mai in Port of Spain soll Warner die Delegierten einzeln in einen Konferenzraum des Hotels gebeten haben. Laut »Telegraph« soll dann jedem der 25 Funktionäre 40 000 Dollar Bargeld als »Geschenk« angeboten worden sein – mit der Bitte, »niemandem davon zu erzählen«.
Nachdem vier Funktionäre diese monetären Angebote abgelehnt und Chuck Blazer, amerikanisches Mitglied der FIFA-Exekutive, davon in Kenntnis gesetzt hatten, begannen Untersuchungen wegen Korruption. Blazer soll den ehemaligen US-Staatsanwalt John P. Collins beauftragt haben, Ermittlungen durchzuführen und einen Bericht zu erstellen. Belastende Aussagen sollen von Anton Sealey, dem Verbandspräsidenten der Bahamas, gemacht worden sein. Bin Hammam und Warner haben sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen, Blatter erklärte gelassen: »Die Fakten werden für sich sprechen.«
Nicht nur der britische Premierminister David Cameron sprach sich für eine Verlegung der für Mittwoch vorgesehenen Wahl aus. Drei Viertel der 208 FIFA-Mitgliedsverbände müssten sich für eine Verschiebung aussprechen. Blatter könnte beim Kongress in Zürich sogar per Akklamation gewählt werden, wenn nicht doch noch der von FIFA-Vize Warner angekündigte »Fußball-Tsunami« über den 75 Jahre alten Schweizer und die FIFA hinwegfegt.
Die Welt müsse sich auf pikante Enthüllungen gefasst machen, prophezeite der mit Bestechungsvorwürfen konfrontierte Jack Warner. »In den kommenden zwei Tagen werden sie einen Fußball-Tsunami erleben, der den Weltverband und die Welt erfassen wird, und das wird sie schockieren«, hatte der Präsident des Kontinentalverbandes von Nord- und Mittelamerika angekündigt. Die Zeit sei reif, dass »ich aufhören muss, mich tot zu stellen«, erklärte der 68-Jährige, ohne weitere Details zu verraten.
Blatter hat sich im Wahlkampf als Reformer positioniert, der in seinem skandalumtosten Laden aufräumen will. Ob er dafür der richtige Mann ist, bezweifelt Richard Pound, als ehemaliger IOC-Vize einer der entscheidenden Figuren bei der Aufklärung des Bestechungsskandals im Internationalen Olympischen Komitee. »Wenn die FIFA schon dem Spiel nicht gut tut, muss das Spiel vielleicht etwas gegen die FIFA tun«, sagte der Kanadier. Verbände könnten aus der FIFA austreten, »unzufrieden, dass die Organisation nicht ordentlich geführt wird«, betonte Pound und prophezeite der FIFA einen »schwierigen und schmerzhaften Weg«.
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