Wenn Dein starker Arm es will ...
Vor 75 Jahren wurden »Meshrabpom-Film«, ein selten experimentierfreudiges Unternehmen, liquidiert
Buchstäblich über Nacht wurden die Firmenschilder abgeschraubt, die Briefköpfe annulliert, die Konten umgeschrieben, die Betriebszeitung »Rotfilm« eingestellt. Die Produktionsfirma »Meshrabpom-Film« in Moskau wurde im Handstreich liquidiert – vor genau 75 Jahren. Das ZK der KPdSU (B) hatte dies in geheimer Sitzung am 6. Juni 1936 verfügt, der Beschluss wurde umgehend umgesetzt. Alle Produktionskapazitäten der Firma – die Ateliers und Werkstätten, der Fuhrpark, das Rohfilmlager und firmeneigene Kopierwerk, alle Apparate, darunter hochwertige Importkameras – wurden enteignet.
Der bisherige Besitzer war die Internationale Arbeiterhilfe (IAH), eine weltweit verzweigte, international hoch angesehene Hilfs- und Solidaritätsorganisation. Sie war 1921 nach einem leidenschaftlichen Appell Lenins an die internationale Arbeiterbewegung entstanden, die hungernde Bevölkerung Sowjetrusslands durch Spendensammlungen zu unterstützen. In Willi Münzenberg fand Lenin einen energischen und einfallsreichen Vollstrecker seiner Idee.
Münzenbergs
Initiative
Münzenberg organisierte in ganz Europa große Hilfsaktionen und leitete sie nach Russland. In der Folge bündelte er alle diese Aktionen, erfand neue Kampagnen und schuf eine starke, gut strukturierte Organisation der Solidarität und Hilfe, eben die IAH. Er gründete einen Verlag und Zeitungen, darunter die »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« (AIZ) und bescherte der IAH so eine wirksame Medienflanke. Obwohl die IAH eine unabhängige, finanziell starke und flexibel agierende Unternehmung war, blieb sie in Koordination, Anleitung und gelegentlich wohl auch Beeinflussung den politischen Zielen und Strategien der kommunistischen Parteien in Deutschland und der Sowjetunion sowie der Komintern – milde gesagt – nahe.
Münzenberg fand bald heraus, dass für die Aktionen der IAH eine wirksame Propaganda nötig sei, die man zudem mit exklusiver Werbung für den jungen Sowjetstaat verbinden könne und müsse. Und so kam er auf die mediale Überzeugungskraft von Bildern, vor allem Filmbildern. Er ließ erste Dokumentarfilme vom Hunger in Russland und der Hungerhilfe in Deutschland vorführen – und hatte damit enorme Zuschauerresonanz.
Fortan baute Münzenberg mit wachsendem Erfolg den Verleih sowjetischer Filme in Deutschland aus. Er erkannte, dass es nötig und besser sei, selbst Filme – und zwar aller Genres – herzustellen.
Zu diesem Zweck verbündete er sich 1925 – nicht ohne kaufmännische Tricks und ein klein wenig politischen Druck – mit der Moskauer Filmfirma »Rus« zu »Meshrabpom-Rus«; das Unternehmen wurde später zu »Meshrabpom-Film«. Mit dem italienischen Parteifunktionär Francesco Misiano, der als Moskauer Resident der IAH das persönliche Vertrauen Münzenbergs besaß, und dem Moskauer Filmmanager Moisej Alejinikow, dem bisherigen Besitzer der »Rus« (ein gewiefter und geschmackssicherer Filmproduzent), fand er zwei Mitstreiter von seltenem Format: Beide hatten keinerlei Ehrgeiz, selbst Filme machen zu wollen (wie man es sonst häufig in der Branche antrifft), jedoch waren sie filmbegeistert und sachkundig und wollten, dass ihre Firma gute Filme für möglichst viele Zuschauer produzierte. Dementsprechend leiteten und organisierten sie den Betrieb. Devisen, vor allem aus dem Verleihgeschäft in Deutschland, wurden in den Ankauf von Rohfilm sowie in Kameras und Scheinwerfer im Ausland investiert, die erheblich leistungsfähiger waren als die sowjetischen Eigenfabrikate. Das sah man den Filmen an. Und es sprach sich schnell herum, so dass die besten Moskauer Regisseure zu »Meshrabpom-Fim« drängten. Alejinikow musste schließlich gar die Bewerbung des berühmten Sergej Eisenstein »abwimmeln«, weil er befürchtete, dass der Neid der anderen sowjetischen Filmfirmen zu groß, sprich: bedrohlich für »Meshrabpom-Film«, werden könnte.
Das Signet der IAH war ebenso plastisch wie mehrdeutig: Ein kräftiger Mann greift in die Speichen eines großen Rades. Hält er es an – »Wenn Dein starker Arm es will …« – oder treibt er es voran? Die Filmfirma übernahm das markante Symbol für den Vorspann aller ihrer Filme, die damit sofort als Produktionen von »Meshrabpom« erkennbar waren .
Die gestalterische Palette war erstaunlich breit: pathetisch-emotionale Revolutionsfilme, die heute Klassiker der Filmkunst sind, wie »Aelita« (Jakow Protasanow, 1924) oder »Die Mutter« (Wsewolod Pudowkin, nach dem Roman von Maxim Gorki, 1926), Unterhaltungsfilme und Komödien wie »Das Mädchen mit der Hutschachtel« (Boris Barnet, 1927), Kriminalkomödien und Kinderfilme mit klassenkämpferischem, revolutionärem Gestus, so etwa »Die zerrissenen Stiefel« (Margarita Barskaja, eine der wenigen Frauen im Studio, 1933). Nur Western produzierte »Meshrabpom-Film« nicht.
Das moderne
Kino geprägt
Die besten Schauspieler Moskaus spielten für die Firma, wie der »proletarische Held« Aleksej Batalow oder der beliebte Komiker Igor Iljinski. Ihre Kameraleute und Filmarchitekten prägten sprichwörtliche die Bildkultur jener Zeit. Von vielen Filmen des Studios gingen wichtige avantgardistisch-innovative Impulse für die europäische Filmkunst aus. »Meshrabpom-Film« bestimmte Formensprache und Bilderkanon des modernen Kinos mit: Großaufnahmen von Proletariern als Akteure, Totale über Demonstrationszüge, scharfe Montagen und starke Kontraste ...
Die Firma war eine autarke Fabrik mit allen Gewerken und Fachleuten, die für die Produktion von Filmen unabdingbar sind. Sie unterhielt eigene, gut dotierte und mit exzellenten Spezialisten besetzte Laboratorien für Ton und Farbe, ebenso eine Animationsfilmwerkstatt. Der erste sowjetische Tonfilm »Der Weg ins Leben« (Nikolai Ekk, 1931, nach dem Roman von Makarenko) und der erste sowjetische Farbfilm »Nachtigall, kleine Nachtigall« (Nikolai Ekk, 1934) kamen von »Meshrabpom-Film«. Die Firma schuf bemerkenswerte Kultur- und Expeditionsfilme, die ethnografische Entdeckerfreude, Sehnsucht nach fernen Ländern und filmische Erkundungen miteinander verbanden. Es kam zudem zu Koproduktionen mit deutschen Firmen und Regisseuren. Und überhaupt war »Meshrabpom-Film« auf allen Gebieten ein selten experimentierfreudiges Unternehmen. Innerhalb der sowjetischen Strukturen von Planwirtschaft und ideologischen Reglements nahm die gemischte deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft eine Sonderstellung ein, untersetzt durch entschlossene Bindung an die IAH, die vor allem außerhalb der Sowjetunion agierte. Dennoch oder gerade deswegen war auch »Meshrabpom-Film« der Drehbuchzensur, Streitereien um Finanzierung sowie um Exportregelungen ausgesetzt.
Ende der 1920er Jahre erweiterte die Firma ihr Produktionspanorama nach Intentionen sowohl der Komintern wie auch der IAH auf westeuropäische, insbesondere deutsche Themen und warb heftig um Engagements deutscher Regisseure (Hans Richter, Leo Mittler, Erwin Piscator) und deutscher Szenaristen (Friedrich Wolf, Leo Lania). Sie orientierte auf die zunehmenden Klassenauseinandersetzungen jener Jahre und folgte leider auch weitgehend der Doktrin vom »Sozialfaschismus« der Sozialdemokratie. Damit begann eine thematische Krise, die filmästhetische Folgen hatte. Mit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland war schließlich das deutsche Publikum nicht mehr zu erreichen. Fortan produzierte »Meshrabpom-Film« nur noch für sowjetische Zuschauer und blieb da freilich ein Außenseiter.
Ein Kapitel der
Solidarität beendet
Bei der Liquidierung von »Meshrabpom-Film« 1936 fertigte der Geheimdienst OGPU ein detailliertes Verzeichnis des gesamten Vermögens der Firma an, das nüchtern und emotionslos alle Werte von »Meshrabpom-Film« aufrechnete, alle Kapazitäten und alle Liegenschaften, darunter einen firmeneigenen Kindergarten und die zwei modernsten Kinos in Moskau, bis hin zum letzten Nagel. Auch für einen Geheimdienst eine erstaunliche detailbesessene Inventur. Nicht erwähnt wurden in den akribischen Akten die Verdienste der Mitarbeiter der Firma – vom Techniker bis zum Regisseur eine eingeschworene Mannschaft, die einen bedeutenden Beitrag zur Filmkunst geleistet hatten. Auch deren großer Berufsethos kam dort nicht vor.
Die IAH, die Ur-Mutter der Filmfirma, wurde ebenfalls aufgelöst, deren enormes Kapital der Komintern zugeschlagen. Ein bedeutendes Kapitel der internationalen Solidarität der Arbeiterbewegung und deren erfolgreiche Spiegelung in Filmen war damit definitiv geschlossen. Auch dieses abrupte Ende war im Zeichen der weiteren Stalinisierung der Sowjetunion und der Komintern erfolgt.
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