Bogenschießen und Obertongesang

Kulturelle Landpartie im Wendland geht auf den Widerstand gegen Atomanlagen zurück

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit 1989 öffnen Künstler und Handwerker im niedersächsischen Wendland zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ihre Hoftore und präsentieren ihre Arbeiten: von fast vergessenen Handwerkstechniken bis hin zu Avantgarde-Kunst. Rund 600 Künstler erwarten seit Donnerstag Besucher an 100 Ausstellungspunkten. Sie sind verteilt auf über 80 Dörfer im und um den Landkreis Lüchow-Dannenberg.

Ein Zimmer? Auf diese Frage kann Heinz Laing nur ungläubig den Kopf schütteln. »Wir sind seit einem Jahr für die Zeit der Kulturellen Landpartie komplett ausgebucht, auch für 2012 ist kaum noch was frei.« Laing, wendländischer Anti-Atom-Veteran der ersten Stunde, hat vor ein paar Jahren das »Herrenhaus Salderatzen« gekauft und den früheren Gutshof zu einer Pension mit 15 Zimmern umgebaut.

Auch das angeschlossene »Heuhotel« ist während der Kulturellen Landpartie, die am Donnerstag im Kreis Lüchow-Dannenberg eröffnet wurde und bis Pfingstmontag dauert, bis auf den letzten Platz belegt. Auf der Wiese hinter der Scheune steht zudem noch ein Dutzend Zelte. Das »Herrenhaus« ist in diesen Tagen nicht nur eine voll belegte Herberge, sondern auch kulturelle Attraktion: in alten Ställen zeigen Künstler ihre Bilder und Skulpturen, auf dem Hof treten Chöre und Musikgruppen auf.

Das Rundlingsdorf Salderatzen ist indes nur eines von zahlreichen wendländischen Dörfern, die sich an der Kulturellen Landpartie beteiligen. Nach Angaben des Trägervereins gibt es in mehr als 100 Punkten Ausstellungen, Konzerte, Kabarett und Theateraufführungen. Dabei treten rund 600 Künstler aus ganz Deutschland und mehreren Nachbarländern auf. Die Landpartie gilt damit als größter Veranstaltungszyklus dieser Art in der Bundesrepublik.

An fast allen Ausstellungsorten werden die Besucher der Landpartie aufs Beste mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten aus der Region verwöhnt. Es gibt »Brennessel-Tapas«, fangfrischen Elbe-Fisch aus Gorleben, Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen Wendlandwäldern. Und in Kussebode jeden Tag eine Führung durch die kleine Brauerei, die seit ein paar Jahren das heimische Bio-Bier »Wendland-Bräu« herstellt und vertreibt.

Obwohl viele Gäste mit dem Rad unterwegs und in den meisten Orten provisorische Parkplätze ausgewiesen sind, kommt es auf den schmalen Dorfstraßen bisweilen zum Chaos. Als zur besten Kaffeezeit in Bülitz alle Wege zugeparkt sind, müssen Clowns mit bunten Staubwedeln zwecks Verkehrslenkung einschreiten.

Viele Angebote richten sich insbesondere an gestresste Städter: Therapeuten offerieren in Gärten und Scheunen Reiki, Medizinradarbeit und Massagen aller Art. Es gibt Kurse für nahezu alles und jeden. Beim Bogenschießen und -bauen kann ebenso reingeschnuppert werden wie beim Harfespielen. Interessierte können an Wildkräuterwanderungen teilnehmen oder an Workshops für zentralasiatischen Ober- und Untertongesang. Die Gäste können aber auch Malern und Bildhauern in ehemaligen Ställen bei der Arbeit zusehen oder Theater und Musik in alten Scheunen erleben. Die Kulturelle Landpartie geht auf die Proteste der Bevölkerung des Landkreises Lüchow-Dannenberg gegen Atomanlagen zurück. Nach den ersten großen Demonstrationen in Gorleben zogen in den 70er und 80er Jahren zahlreiche Kulturschaffende aus Großstädten ins Wendland. Die Künstler öffnen seit 1989 zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ihre Werkstätten und Ateliers für das Publikum.

Auch die diesjährige Landpartie – es ist bereits die 22. – thematisiert den Anti-Atom-Protest. An der Bahnstrecke zwischen Harlingen und Leitstade, wo tausende Umweltschützer im vergangenen November einen Castortransport blockierten, gibt es Vorträge und Ausstellungen zu den damaligen Ereignissen. In Govelin, wo sich damals die »Castor-Schotterer« zum Marsch auf die Gleise sammelten, hat ein »Widerstandscafé« geöffnet.

Rechtzeitig zur Landpartie haben die örtlichen Bürgerinitiativen überall im Wendland große Plakate verklebt, um die Gäste zu einem weiteren Besuch im Wendland einzuladen. Für den November, wenn der nächste Castortransport kommt.

Informationen im Netz unter: www.kulturelle-landpartie.de

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