Schostakowitsch zieht in ein Zelt
Festival in Gohrisch erlebt zweite Auflage
Schostakowitsch in der Scheune – mit diesem Slogan sorgte 2010 ein neues Musikfestival in der Sächsischen Schweiz für Furore. In dem Kurort Gohrisch, wo Dmitri Schostakowitsch 50 Jahre zuvor zu Besuch in einem Gästehaus der DDR-Regierung geweilt hatte und mit dem Streichquartett Nr. 8 in c-Moll sein einziges Werk außerhalb der Heimat schuf, wurde an drei Tagen an den sowjetischen Komponisten erinnert. Etliche seiner Werke wurden aufgeführt – in der Scheune des örtlichen Agrarbetriebes, der dafür extra sein Heu ausgelagert hatte.
Dem Heu ist dieser Umzug nicht bekommen, weshalb die zweiten Schostakowitsch-Tage vom 16. bis 18. September 2011 nicht wieder in der Scheune hätten stattfinden können; der Herbst sei »für Scheunenbesitzer schwierig«, räumt Friederike Kübler ein. Der von ihr geleitete Verein hat sich indes ein nicht minder originelles Domizil für die geplanten fünf Konzerte und Veranstaltungen ausgedacht. Diese werden in einem Zelt stattfinden, das 600 Zuhörer fasst und klimatisiert ist. Gleich, wie dieser Herbst ausfällt, sagt Kübler: »Keiner wird frieren.«
Starmusiker auf dem Land
Gänsehaut könnten die Gäste des Festivals dennoch bekommen – wegen der Qualität der Musik. Die zwei geplanten Kammermusikabende und ein Orchesterkonzert werden von Musikern der Staatskapelle Dresden bestritten, außerdem von namhaften Solisten wie dem Pianisten Igor Levit, dem Trompeter Sergei Nakarakiov und der Komponistin und Pianistin Lera Auerbach, die in der kommenden Saison Gastkomponistin bei der Staatskapelle ist. In Gohrisch werden einige ihrer Werke neben Kompositionen Schostakowitschs erklingen, zu denen erneut das Streichquartett Nummer 8 gehört. Hinzu kommt eine symphonische Bearbeitung des Quartetts Nr. 1, die von dem renommierten Dirigenten Michail Jurowski geleitet wird, wie der künstlerische Leiter Tobias Niederschlag ankündigte.
Stück beginnt mit D-Es-C-H
Neben hochkarätigen Konzerten bietet das Festival eine musikalische Lesung, in welcher der Dresdner Schauspieler Christian Friedel aus Briefen des Komponisten vorträgt, sowie die Aufführung des biografischen Films »Testimony« mit Ben Kingsley als Schostakowitsch.
Dessen Biografie ist eng mit dem Kurort in der Sächsischen Schweiz verknüpft. Das hier entstandene Streichquartett Nr. 8, das mit der seinem Namenskürzel entsprechenden Tonfolge D-Es-C-H beginnt und in dem der damals 54-Jährige seine bedrückenden Erfahrungen in der Sowjetunion unter Stalin verarbeitete, gilt als Schostakowitschs »wohl persönlichstes Werk«, sagt Niederschlag.
In Gohrisch selbst wussten bis 2010 nur wenige von dem Platz in der Musikgeschichte; inzwischen bekennt sich der Ort dankbar dazu – schließlich lockt das Festival Gäste jenseits der üblichen Klientel der Wanderer und Bergsteiger an. Die meisten Einwohner »stehen hinter dem Festival«, sagt Bürgermeister Tom Vollmann, der sich über ausgebuchte Pensionen und Hotels freut: »Viele bleiben sogar länger, um neben der Musik die Landschaft zu erleben.« Wer im Ort kein Bett bekommt, muss aber den Konzerten nicht fernbleiben, betont man beim Verein: Zu jeder Veranstaltung fährt von der Semperoper in Dresden ein Shuttle-Bus nach Gohrisch.
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