Quo vadis, Kanzlerin?

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.

Jede Frau hat ein süßes Geheimnis. Dies trifft auch auf die deutsche Kanzlerin zu. Sie ist eine schöne Seele, gefangen in einem Hosenanzug, und lange Zeit schien die Kernkraft ihre Kernkompetenz zu sein. »Die deutschen Kernkraftwerke«, schwärmte sie verliebt, »gehören zu den sichersten der Welt.« Doch am 11. März dieses Jahres bebte in Japan die Erde, und schon sah ihre Welt ganz anders aus.

Es war ein Tag der jähen Wendungen. Nichts Böses ahnend, war sie morgens als Busenfreundin der Atomkraft aufgestanden und nach den Tagesthemen als wutschnaubende Atomkraftfeindin zu Bett gegangen. Gerade erst hatte sie den rot-grünen Atomausstieg in den schwarz-gelben Wiedereinstieg umgemodelt, nun verkündete sie von einem Tag auf den anderen den Umstieg in den schwarz-gelben Wiederausstieg und kennt seitdem nichts Schöneres, als dem deutschen Volke seinen Wunsch nach einer atomfreien Heimat zu erfüllen. Mit diesem Sinneswandel überraschte sie alle Skeptiker, die bis heute unken, der Ausstieg sei genau genommen gar kein Ausstieg, sondern bloß eine stinknormale Laufzeitverlängerung bis 2022 …

Nach Hausfrauenart kauft Angela Merkel öfter mal ein, und zwar bei Real. Infolgedessen versteht sie sich als Realpolitikerin. Kaum hatte sie ihren Widerwillen gegen das Atom offenbart, da versetzte sie dem Arbeitgeberlager einen weiteren schweren Schlag. Bisher glaubte der deutsche Arbeitgeber, sich auf die Fürsorglichkeit seiner Kanzlerin verlassen zu können. Runter mit den Niedriglöhnen, so lautete ihre Parole. Und nichts schätzte sie mehr als das eherne Gesetz, das Professor Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut ihr einst zugeraunt hatte: Nur durch Lohnverzicht entstehen neue Arbeitsplätze!

Diese Faustregel soll nun nicht mehr gelten. Seit geraumer Zeit wendet sie sich jede Woche per Video-Podcast direkt an alle Bürgerinnen und Bürger. Neulich ging sie energisch ans Eingemachte, denn sie entdeckte ihr Herz für faire Löhne. Knallhart wies sie die deutsche Wirtschaft an, gefälligst die Löhne zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. »Wer sein Fachpersonal langfristig halten will«, sagte sie, »muss bereit sein, ordentlich zu bezahlen und nicht immer bloß befristete Verträge anzubieten.« Im Vollrausch der sozialen Gerechtigkeit distanzierte sie sich selbst in aller Schärfe von der eigenen Lohndrückerei: Es dürfe nicht sein, dass »wir unsere Fachkräfte von außen holen, nur um das Lohnniveau zu drücken«.

Na, sagt mal, was sind denn das für Töne?! Die gesamte deutsche Presse mit Ausnahme der »Financial Times Deutschland« beschwieg diesen Aufschrei. Stumm wunderte sich alles über die angriffslustige Kanzlerin. Erst Atomausstieg statt Brückentechnologie, dann Lohnsteigerung statt Lohndumpings! Kommt vielleicht noch mehr? Ruft sie vielleicht morgen schon die Legion Kundus aus Afghanistan zurück? Freut sie sich vielleicht gar nicht mehr darüber, »dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten«? Stört es sie überhaupt nicht mehr, dass die Griechen auf der faulen Haut liegen und sich ins Fäustchen lachen beim Anblick der deutschen Malocher, die eine Überstunde nach der anderen schieben? Wird die Kanzlerin der Herzen vielleicht sogar dafür sorgen, dass der lang erwartete Aufschwung mit leichter Verspätung doch noch bei ihren lieben Arbeitnehmern ankommt? Wird sie das deutsche Jobwunder zur Vollbeschäftigung ausbauen? Denkt sie über eine Vermögensteuer nach, vielleicht gar über ein gerechtes Existenzmaximum für Bestverdiener? Wer weiß …

Fest steht bisher nur: Mehr Bürgernähe war nie! Das Wohl des deutschen Volkes geht ihr über alles. Dabei hat der nächste Wahlkampf doch noch gar nicht angefangen. Oder wandelt sie sich in diesen Tagen vielleicht gerade vom Saulus zur Paula? Der Vatikan ist jedenfalls alarmiert. Gut möglich, dass der Heilige Vater sie eines nicht fernen Tages selig sprechen wird. Oder heilig. Oder wenigstens scheinheilig.

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