Zwischen Tourismus und Tsunami

Das Jakarta Berlin Arts Festival verbindet mit Theater, Musik, Literatur und Kunst die Partnerstädte

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Ensemble Sena Didi Mime
Das Ensemble Sena Didi Mime

»Mein Name ist Nacht«, »Königin meiner Nacht«, »Liebesbrief an die Nacht« – so heißen die Gedichte, die M Faizi plastisch vorträgt. Rocker, Maler, Theologe war er, erzählt der 1975 auf der Insel Madura geborene Dichter, alles sei Inspiration für seine Poesie geworden: lyrische Prosa von feiner Bildhaftigkeit, universale Fragen umkreisend. Wahrheit liegt in der Vorläufigkeit, kündet er darin. Von gänzlich anderer Couleur ist sein indonesischer Landsmann Sosiawan Leak, 1967 auf Zentral-Java geboren, ebenso schmal, aber ein begnadeter Schauspieler-Poet von vulkanischer Kraft. Durch die Versprachlichung verschwinde mancher Gedanke, erklärt er. Den müsse beim Vortrag die Performance ergänzen. Ob er grunzend, sexistisch und politisch den Monolog eines Ebers über das Bespringen von Sauen darstellt oder in Kontrast zum Inhalt über Informationstechnologie trampelnd singsangt, stets ist er ganz expressionistisch radikaler, tabulos in dieser Welt verwurzelter, dabei weltsprengender Selbstinterpret, zupackend und dicht. Nach Berlin geholt hat beide ihr Dichterkollege Martin Jankowski im Rahmen seines Jakarta Berlin Arts Festival.

In der Tat ist unser Wissen über die mit fast 18 000 Inseln größte Archipelrepublik der Welt – mit 240 Millionen Einwohnern zudem viertgrößter Staat – eher lückenhaft. Dass die Tempel von Borobudur und Prambanan (buddhistisch der eine, hinduistisch der andere) Weltkulturerbe sind, weiß man. Auch Wayang, das berühmte Schattenspiel, und die Wayang-Lieder des javanischen, tragisch verschollenen Dichters Soeroto sind bekannt. Vom Komodowaran als urzeitlichem Relikt, dem Vulkan Krakatau hat man möglicherweise gehört. Jüngst ist Indonesien mehr durch Tsunamis in den Schlagzeilen. All dem sucht Festivalleiter Jankowski die Stirn zu bieten: Weder an Tourismus noch Katastrophe orientiert sich seine Zusammenschau, sondern an der Gegenwartskunst der brodelnden Metropole Jakarta mit ihren gut 10 Millionen Einwohnern. Dass sie seit 1993 auch Partnerstadt Berlins ist, hat sich noch nicht dem Bewusstsein eingeschrieben.

An neun Tagen in 14 exponierten Spielstätten quer durch die Stadt präsentieren sich in 37 Veranstaltungen etwa 100 von Jakartas führenden Künstlern aus den Bereichen Theater, Tanz, Musik, Performance, Literatur, Kunst, Mode und bieten so das singuläre Kaleidoskop einer rasant sich entwickelnden Szene. Neben Ausstellungen zu Malerei, Foto, Video gibt es Lesungen und Gespräche. Mit »Roro Mendut«, einer javanischen Tragödie über Macht und Widerstand, gastiert das Padnecwara Tanztheater im Studio des Admiralspalasts und damit erstmals in Europa: Eine Frau weigert sich, einen Kriegshelden zu ehelichen, muss dafür eine hohe Strafe zahlen. Objekttheater mit Jakartas wohl witzigstem Puppenspieler zeigt die Schaubude, Performances von Leak sowie der Godi Suwarna Group die Kulturbrauerei. In den Saal des Admiralspalasts lädt eine »Jakarta Gala« mit dem weltweit tourenden Tanzensemble IKJ und der Maya Hasan Music Group, die für einen Stilmix von Klassisch über Keltisch bis zu Pop, Jazz und Rock steht. Beide Schirmherren des Festivals, Jakartas Gouverneur und Berlins Regierender Bürgermeister, werden die Gala mit anschließendem Hoffest einleiten.

Dass im Kesselhaus der Kulturbrauerei auch die Gruppe Krakatau spielt, wird all jene freuen, die eine Synthese aus Weltmusik und Jazzrock lieben. Die 1985 gegründete Band setzt Instrumente und Stile der traditionellen indonesischen Gamelan-Musik mit ihren Gongs und Metallophonen ein, kombiniert mit westlichen Instrumenten, und integriert ebenso Rap. Acht Alben, Auftritte auch beim Jazzfest in Montreux verhalfen Krakatau zu weltweiter Beachtung.

Einem leidigen Problem widmet sich das Pantomime-Theater Seda Didi Mime: »Mit dem Besen in der Hand – der letzte räumt die Welt auf« erzählt im Admiralspalast-Studio poetisch und schwarzhumorig von der durch Müllüberproduktion zerstörten Erde. Ehe mit »Java open Air!« in Schloss und Park Schwante das Festival ausklingt, bietet das Goya einen Leckerbissen nicht nur für Modefans: Dort zeigt Harry Darsono eine Kollektion, mit der er die königliche Textiltradition wiederbelebt hat, wie sie auch von Lady Diana getragen wurde. Als Musiker von Format, begleitet er auch am Klavier

Bis 3.Juli, Informationen und Programm unter der Tel.: (030) 53 15 59 63 und im Internet unter www.jakarta-berlin.de

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