Jeder zehnte Versicherer versagt
Stresstest: Die Namen hält die europäische Finanzaufsicht geheim
Die Alarmglocken in Frankfurt am Main blieben stumm, als die neu gegründete europäische Versicherungsaufsichtsbehörde European Insurance and Occupational Authority (Eiopa) die Ergebnisse ihres Stresstests in dieser Woche bekannt gab. Obwohl längst nicht alle bestanden haben, ziehen staatliche Aufsicht und private Versicherungswirtschaft ein positives Fazit. Auch aus Verbrauchersicht scheinen die Ergebnisse zu beruhigen. Kritiker mahnen allerdings die Bekanntgabe der Namen der Versager an. Die will Eiopa lieber für sich behalten.
Zwischen März und Mai dieses Jahres war untersucht worden, inwieweit einzelne Versicherer in Krisenzeiten die Anforderungen der sogenannten Solvency-II-Regelung erfüllen können. In einem Stresstest wurden verschiedene Risiken durchgespielt, wie ein Börsencrash, der Verfall der Immobilienmärkte oder stark fallende Zinssätze. Letzteres trifft Versicherer weit härter als Banken, da sie das Geld ihrer Kunden sicher und das heißt vorrangig in risikoarme, festverzinsliche Wertpapiere von Staaten wie Deutschland und (früher) Griechenland oder in verzinste Anleihen von großen Konzernen wie Shell oder Siemens anlegen.
Eiopa untersuchte 58 Versicherungsgruppen und 71 Einzelversicherer mit Hauptsitz in der EU, in Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Auf die Firmen entfallen 60 Prozent Marktanteil. Im Ergebnis kommt die Aufsichtsbehörde zu dem Schluss, dass im Großen und Ganzen die europäische Assekuranz ausreichend Vorsorge getroffen habe: Immerhin konnten die teilnehmenden Gesellschaften – auf Basis der Daten von Ende 2010 – mit 577 Milliarden Euro insgesamt 425 Milliarden Euro mehr Eigenmittel aufweisen als nach Solvency II notwendig. Das Kapital reduzierte sich während der Belastungsprobe um »nur« 150 Milliarden Euro.
Für den europäischen Dachverband der Assekuranz CEA zeigen die Ergebnisse die Robustheit der Versicherungswirtschaft. Tatsächlich wurde die Assekuranz von der großen Finanzkrise weit weniger hart getroffen als Banken und Fonds.
So weit, so gut. Anderseits verfehlte in den Crash-Szenarien fast jedes zehnte Unternehmen die notwendigen Kapitalanforderungen. Bei allen beruhigenden Nachrichten, die Eiopa in die Welt hinaus sendet, darf also nicht übersehen werden, dass es viele schwarze Schafe gibt. Zehn Prozent der Versicherer haben es eben nicht geschafft: Bei dem strengsten Testverfahren waren es 13 von 129 Teilnehmern. Wer genau, zumindest, aus welchen Ländern sie kommen, all dies hält Eiopa geheim. Damit unterscheidet sich der Versicherungs-Check vom Bankenstresstest der europäischen Bankenaufsicht EBA in London. Stattdessen sollen die nationalen Aufsichtsbehörden die Ergebnisse in den nächsten Monaten mit den einzelnen Versicherungsgesellschaften gemeinsam auswerten.
Für die Zukunft sorgt sich Eiopa um eine Reihe riskanter Entwicklungen, etwa bei Aktienkursen und Staatsanleihen. Bei den versicherungstechnischen Risiken sind es die Sachsparten, die eher Sorge bereiten. So fürchtet die Branche steigende Schadenssummen aus Naturkatastrophen und höhere Leistungsansprüche der Kundschaft.
Lexikon
Noch stehen die genauen Anforderungen aus Solvency II nicht fest (Solvency = Zahlungsfähigkeit). Solvency II bildet das Gegenstück zu »Basel III« der Banken und stellt Mindestanforderungen an die Kapitalausstattung und die Risikobereitschaft der Versicherer. Im Unterschied zu Basel III steht nicht das einzelne Finanzinstitut im Blickpunkt, sondern die ganze Branche. Sie soll angehalten werden, solide zu wirtschaften und keine übertriebenen Risiken einzugehen. hape
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