Rundfunkgebühren trotz Hartz IV
Viele Langzeitarbeitslose entrichten ihren monatlichen GEZ-Beitrag, dabei müssten sie eigentlich nicht zahlen
Die öffentlich-rechtlichen Sender rechnen mit dem Schlimmsten. Der SWR-Intendant Peter Boudgoust erwartet in den nächsten zehn Jahren einen Einnahmerückgang bei den GEZ-Gebühren von bis zu 15 Prozent. Wohl auch deshalb nimmt die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) mittlerweile alles, was sie kriegen kann. Auch von Hartz-IV-Betroffenen. Wie die »Süddeutsche Zeitung« am Wochenende berichtete, entrichtet mehr als die Hälfte aller Hartz-IV-Haushalte die Gebühr, obwohl sie eigentlich nicht zahlen müssten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) lassen sich von den rund 3,5 Millionen betroffenen Haushalten gerade einmal 1,6 Millionen von der Zwangsgebühr befreien. Für die Öffentlich-Rechtlichen bedeutet das Mindereinnahmen von 335 Millionen Euro.
Allerdings: Mehr als die Hälfte der Hartz-IV-Haushalte zahlt. Für die GEZ sind dies wiederum Zusatzeinnahmen von jährlich rund 400 Millionen Euro. Würden sich alle berechtigten Haushalte befreien lassen, hätten ARD und Co. auf einen Schlag 720 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Geld, dass dringend benötigt wird, um Übertragungsrechte für die Fußball Champions League zu sichern oder Moderatoren wie Günther Jauch mit Millionengagen zu locken.
Doch warum zahlen so viele Hartz-IV-Empfänger die monatliche Rundfunkgebühr von 17,98 Euro? Martin Behrsing vom ErwerbslosenForum kennt das Problem: »Die Betroffenen brauchen oft einen Computer mit Internetzugang, um das GEZ-Formular runterzuladen, auszufüllen und dann auszudrucken«, so der Arbeitslosenaktivist. Zudem benötigen die Betroffenen einen »Bewilligungsbescheid« vom Jobcenter, mit dem sie nachweisen können, dass sie Hartz-IV-Empfänger sind. »Ohne diesen Nachweis keine Befreiung«, erläutert Behrsing. Manch einer übersieht das Papier aber, weil es dem offiziellen Hartz-IV-Bescheid vom Jobcenter beigefügt ist. Manchmal sind diese Bescheide bis zu 32 Seiten stark. Die Betroffenen müssen also ihren Hartz-IV-Bescheid zusammen mit dem Antrag auf Befreiung per Post an die GEZ-Zentrale in Köln schicken.
Doch nicht immer kommen die Bescheide dort an. Behrsing selbst kennt Fälle, da sei der Brief nie bei der GEZ eingegangen. »Oder die Post braucht etwas länger, dann müssen die Betroffenen einen weiteren Monat ihre Gebühren entrichten«, erklärt Behrsing. Wer nicht zum Stichtag die Unterlagen eingereicht hat, muss zahlen. Eine rückwirkende Befreiung gibt es nicht. Und wer dann nicht zahlt, den mahnt die GEZ ab. »Im Ernstfall droht den säumigen Zahlern die Pfändung«, empört sich Behrsing. Die GEZ holt sich das Geld. Egal, ob die Schuldner eigentlich von der Gebühr befreit sein müssten oder nicht.
Behrsing fordert deshalb, das ganze Prozedere einfacher zu gestalten. Etwa indem der Hartz-IV-Bescheid automatisch an die GEZ weitergeleitet werde. »Aber ob die GEZ daran ein Interesse hat, wage ich zu bezweifeln«, resümiert Behrsing.
Bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg kennt man das Problem ebenfalls, verweist aber darauf, besagtes Prozedere bereits im Juli 2009 vereinfacht zu haben. »Wir versuchen, die Bescheide so einfach wie möglich zu gestalten«, so ein BA-Sprecher am Montag gegenüber ND. »Die Betroffenen müssen aber selbst dafür Sorge tragen, dass die Bescheide bei der GEZ eingereicht werden«, betonte der Sprecher. Warum so viele Hartz-IV-Bezieher von ihrem Recht keinen Gebrauch machen, wusste auch der BA-Sprecher nicht.
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