Hühnermast statt Kranichfeld

Am Greifswalder Bodden will ein Verein die Errichtung einer Legehennenmastanlage für 150 000 Tiere verhindern

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 6 Min.
Hühnermast statt Kranichfeld

Das Haus der Westphals in Ludwigsburg am Greifswalder Bodden hat das, was man die perfekte Lage nennt. Auf der einen Seite ermöglicht es freie Sicht über die Dänische Wiek bis hin zur Greifswalder St.-Marien-Kirche. Südlich beginnt der Park mit dem letzten im Original erhaltenen Renaissanceschloss Pommerscher Herzöge. Östlich klappert der Storch über der Kapelle. Nördlich liegt ein Fachwerkhaus mit Reetdach und taubenblauen Fenstern. René und Katarina Westphal mit den Kindern Friedrich und Heinrich könnten zufrieden sein. Sind sie aber nicht.

Seit es hieß, dass ein Investor ein Feld zwischen Ludwigsburg und dem zwei Kilometer entfernten Loissin, auf dem bisher Getreide oder Kartoffeln wuchsen, in eine gigantische Legehennenhaltung umfunktionieren will, ist hier nichts mehr wie es war. Bei dem Investor soll es sich um den Sohn von Alfons Lügermann aus dem niedersächsischen Emsland handeln. Lügermanns betreiben am Bodden seit zwei Jahrzehnten Ackerbau. Äußern will sich Alfons Lügermann zu den Plänen nicht.

Katastrophe für den Ort

René Westphal schiebt den Kinderwagen mit dem zehn Monate alten Friedrich durchs Dorf. Der Gymnasiallehrer ist unterwegs zu Jürgen Zocher, der am Ortseingang von Ludwigsburg wohnt und wütend auf den Bauern ist. Vor einigen Monaten habe Lügermann ihm gegenüber noch so getan, als wisse er nichts von der geplanten Mastanlage. »Geld ins Emsland, Scheiße hier. Lügermann, wir danken dir«, reimt Zocher zornig. Er würde aus seinem Haus den direkten Blick auf die Mastanlage bekommen. Bei entsprechendem Wind könnte er sie riechen. Zocher ist sicher, dass der Mästerei die Biogasanlage folgt. Dann werden auch die Urlauber ausbleiben.

Dass 150 000 Legehennen um ihr Leben scharren und die Luft verpesten sollen, wo im Frühjahr und im Herbst Hunderte Kraniche Rast machen, spaltet die Einwohner. Familien, die ganz bewusst in die Idylle gezogen sind – noch gilt sie als Geheimtipp für Ruhe suchende, Landschaftsliebende, Surfer, Kiter oder Familien mit kleinen Kindern –, empören sich. Das sind die Westphals, die Koppes aus Loissin, die Trillhases aus Ludwigsburg, Pfarrer Matthias Balke, die Gastwirtinnen Editha Butzin vom Ludwigsburger »Boddenblick« und Heidrun Koschella aus dem Loissiner »Café & Mee(h)r«. »Kein Hühnerland am Greifswalder Boddenstrand« ist ihre Devise und der Name der Bürgerinitiative, aus der kürzlich ein Verein wurde. Bürgermeister Klaus Herrmann plant eine Änderung des Flächennutzungsplanes der Gemeinde, damit die »Messlatte für eine solche Tieranlage zu hoch ist«. Ihm ist die geplante mindestens »zwei, drei Nummern zu groß«.

Zu Zocher und Westphal gesellt sich Jost Rübensam. Der junge Familienvater arbeitet als Pfleger in Greifswald. »Eine Riesenkatastrophe wäre diese Hühnerfarm«, meint er. Bisher sei Ludwigsburg ein Ort mit Zukunft gewesen – mit Schlossverein und intakter Umwelt, in der sich Kammmolche und Kraniche wohl fühlten. Rübensam fürchtet Lärm, Gestank, Bodenerosion, Übertragung von Krankheiten, Werteverlust für die Immobilien und ein hohes Verkehrsaufkommen für den Abtransport von bis zu 150 000 Eiern pro Tag und 7500 Tonnen Hühnerkot pro Jahr. Es sei schrecklich, dass immer noch Leute auf das Märchen von den Arbeitsplätzen hereinfielen, die so eine Anlage angeblich schaffe. »Das Gegenteil ist der Fall«, so Rübensam. Arbeitsplätze von Eieraufkäufern würden vernichtet. Niemand brauche Massenproduktion, bei der Tiere gequält und mit Antibiotika vollgestopft würden.

»Und dann diese verlogene Art«, ergänzt Josts Frau Evelyn. Dem einen sagte Lügermann gar nichts, dem anderen ein bisschen was. Klar, dass diese Art von Geheimniskrämerei dem Unternehmer, den alle hier nur den »Emsländer« nennen und der seinen Mitbewohnern jetzt so ein Ei ins Nest legen will, keine Freunde bringt. Zwar meint mancher Alteingesessene versöhnlich, dass man hier immer mit der Landwirtschaft habe leben müssen. Wer das sage, denkt Jost Rübensam, erinnere sich vielleicht an frühere Hühnerställe, in denen ein paar Hundert Tiere lebten, nicht aber an den Kahlfraß und die Tierquälerei eines Betriebes, der sich über 65 Fußballfelder erstrecke. Die wenigsten Einwohner halten die Bürgerinitiative für »Blödsinn und Kindergarten hoch zehn« wie der Ludwigsburger Jürgen Schwiemann. 44 Mitglieder hat der Verein, 2100 Unterschriften hat er bisher gesammelt, erklärt Vereinsvorsitzender Thomas Koppe.

Als René Westphal auf dem Heimweg am Schloss vorbei kommt, studiert ein Paar aus Stade das Plakat der Bürgerinitiative. Bärbel Plickert ist entsetzt. Allerdings ist sie skeptisch, ob es gelingt, das Ansinnen abzuwehren. Die Daumen will sie gern drücken. Bevor der kleine Friedrich an diesem Tag endlich Abendbrot bekommt, muss sein Vater noch Christine Wolf den nächsten Treffpunkt der Bürgerinitiative nennen: »Am 17. Juli im ›Boddenblick‹«, erklärt er. Die Ludwigsburgerin will den bekannten Greifswalder Naturwissenschaftler Michael Succow um Unterstützung bitten. Der ist schon informiert, sagt Westphal.

Parteien eiern herum

Informiert sind auch Ministerpräsident Erwin Sellering und Landwirtschaftsminister Till Backhaus von der SPD. Backhaus sagte in einem Interview, Geflügelkot sei ein sehr guter organischer Dünger, den manche Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern teuer einkaufen müssten, weil er hier nicht ausreichend verfügbar ist. Das sei doch »schizophren«. Kein Kommentar aus der CDU, Zurückhaltung bei der LINKEN. Landtagskandidatin Mignon Schwenke scheint zwar die Größenordnung der geplanten Hühnermastanlage gewaltig, doch sie könnte nicht sagen, »wir sind Gegner«. Bei einer Freilaufanlage wäre wenigstens der Tierschutz gewährleistet. Vor den Wahlen im September will sie sich genauer informieren. Ein Sprecher von Barbara Syrbe (LINKE) erklärt, dass die Landrätin immer beide Seiten beachten müsse. Nur die Grünen eiern nicht herum. Deren Kandidat zu den Landratswahlen, Stefan Fassbinder, sagt, seine Partei stehe an der Seite der Bürgerinitiative. Die Gesetze im Bundesland seien so, dass sich Investoren von Großanlagen ermuntert fühlen. Die Grünen wollen in der Greifswalder Bürgerschaft Einfluss nehmen und eine Veranstaltung mit grüner Prominenz zum Thema machen.

Ebenfalls im September erwartet das Amt für Raumordnung und Landesplanung Vorpommern in Greifswald die detaillierten Papiere des Antragstellers, die vom Planungsbüro Eckhof in Ahrensfelde erarbeitet werden. Es werde alles geprüft und alle Fragen würden beantwortet, so Dr. Wilfried Eckhof. Man befinde sich in einer sehr frühen Phase und bei den Diskussionen in der Öffentlichkeit bleibe oft die Sachlichkeit auf der Strecke. Sind die Unterlagen komplett, beginnt das Raumordnungsverfahren. An dem würden alle Träger öffentlicher Belange beteiligt, erklärt Dezernent Günter Krüger vom Greifswalder Amt, auch die Bürgerinitiative. Man habe schon Anträge abgelehnt – einen Zeltplatz auf Rügen etwa oder ein Kraftwerk auf Usedom.

Verlassen wollen sich die Hühnerlandgegner aus Loissin und Ludwigsburg nicht darauf, dass es so ausgeht. Sie sammeln Geldspenden und haben sich einen Anwalt gesichert.

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