Soziale Mauer mit Warnschild?

Eberhard Rehling über unterschiedliche Lohn- und Rentengebiete / Rehling ist Sprecher im Berliner Sozialen Arbeitskreis des Bezirkes Treptow-Köpenick

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Alle Welt feiert, dass die Mauer weg ist. Sie sagen, dass die Ost-West-Grenze noch da ist, und haben hier in Berlin sogar ein Schild hingestellt.
Rehling: Das hat die Aufschrift »Achtung! Hier beginnt das Lohn- und Rentengebiet Ost« auf der Kreuzberger Seite. Von Treptow kommend sieht man natürlich, dass das »Lohn- und Rentengebiet West« beginnt.

Damit wollen Sie sagen ...
... dass die soziale Einheit Deutschlands nicht hergestellt ist. Im Osten sind Renten rund 11 Prozent geringer, an den Löhnen fehlen zwischen 20 und 30 Prozent.

Was wäre zu tun?
Zuerst einmal kann man nicht mehr mit der Lüge leben, die Einheit wäre vollständig hergestellt. Die Renten müssen angehoben werden, der Rentenwert Ost muss dem aktuellen Rentenwert angeglichen werden. Das hat die Kanzlerin mehrfach versprochen. Wir erinnern sie daran und wollten mit diesem Schild darauf aufmerksam machen, dass die Lohnangleichung nun auch erfolgen muss. Die wird ja weiter zementiert durch unterschiedliche Mindestlöhne.

Sollten nicht sogar angebliche Ost-Vorteile abgebaut werden?
Die Hochwertung von Löhnen und Gehältern wurde gesetzlich festgelegt bis zu dem Zeitpunkt, da die Löhne und Gehälter im Beitrittsgebiet denen in den alten Ländern angeglichen sind. Das muss auch so bleiben. Diese Bewertung beruht darauf, dass es in der DDR die zweite Lohntüte gab. Daraus wurde eine ganze Reihe von Subventionen bezahlt – für Mieten, Tarife, Preise. Zur Verhinderung von Altersarmut müssen niedrigere Löhne höher bewertet werden. Kein Land des Beitrittsgebietes erreicht das Durchschnittseinkommen der gesamten Bundesrepublik.

Geht das nur Ältere was an?
Das geht auch die Jüngeren was an: Alle, die am Stichtag 18. Mai 1990 in der DDR wohnten, werden nach Rentenrecht Ost bewertet. Das war der Tag der Unterzeichnung des Vertrages über die Wirtschafts- und Sozialunion.

Das wird sich also in den nächsten Generationen fortsetzen?
Wenn sich nichts ändert, dann auch in den nächsten Generationen. Die meisten Leute wissen es nur nicht.

Deshalb Ihr Schild?
Es soll die Menschen aufmerksam machen. Sie sollen darüber nachdenken und darüber sprechen, dass es noch immer eine unterschiedliche Behandlung nach Ost und West gibt. Es gibt noch immer eine soziale Mauer.

Eben hier zwischen Kreuzberg und Treptow?
Nicht nur hier. Es gibt Berliner Straßen wie den Dammweg oder die Sonnenallee, an deren einem Ende niedrigere Renten bezahlt werden für die gleiche Lebensleistung als am anderen Ende.

Würden Sie eine Frist setzen?
Das Bündnis für Rentenangleichung unter Führung der Gewerkschaft ver.di denkt an einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren. Zur Zeit gibt es kein Ziel für die Angleichung, sie wird dem Selbstlauf überlassen.

Fragen: Klaus J. Herrmann

Anmerkung: Nach nur wenigen Stunden wurde das Schild entwendet. Gesucht wird von den Initiatoren deshalb ein neuer Standort in der Nähe der ehemaligen Grenze in Berlin, wo es vielleicht sicherer wäre.

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