Effizienz würde sich rentieren
Doch viele Unternehmen verschwenden lieber Energie und Rohstoffe
Es klang so einfach, so gut, so harmonisch: »Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch« lautete die Hauptbotschaft und Untertitel des 1995 von den Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory Lovins und Hunter Lovins vorgelegten Berichts an den Club Of Rome. Den Zielkonflikt zwischen Ökonomie und Ökologie wollten die Forscher aufheben durch eine vervierfachte Produktivität von Energie und Rohstoffen. Will meinen: Aus jeder Kilowattstunde und jeder Stahltonne sollte vier mal so viel Nutzen heraus geholt werden wie bisher. Nicht umsonst wurde die Studie unter dem Titel »Faktor 4« zum Bestseller.
Immerhin zwanzig Fälle vervierfachter Energie-Produktivität wurden aufgelistet – vom »ersten vollbiologischen Bürohaus der Welt« über weitaus effizientere Pumpen und Motoren bis hin zum Tomatenanbau »ohne Energieverschwendung«. Das las sich durchaus gut – auch wenn zwanzig Schwalben noch keinen Sommer machen. Immerhin sollte der »Faktor 4« kapitalismuskompatibel sein: »Effizienz muss sich lohnen«, war ein Hauptkapitel überschrieben. Was ja nichts anderes bedeutet als: Sie kann sich lohnen.
Mag sein. Doch die Praxis schaut anders aus. Im Großen wird eine Verdoppelung des Weltenergiebedarfs binnen eines halben Jahrhunderts konstatiert – dank »aufstrebender« Wirtschaftsmächte wie China und Indien, aber auch dank bereits seit Jahrzehnten industrialisierter Länder. Ein »Faktor 4« ist weit und breit nicht in Sicht. Mitunter ist »auch militärischer Einsatz notwendig« (Horst Köhler), wenn es gilt, »unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege« (ders.).
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Aber sind unsere Wirtschaftseliten nicht Weltmeister im Sparen, allein schon, um in der Preiskonkurrenz bestehen zu können? Werden nicht seit Jahrzehnten immer mehr Arbeitskräfte frei gesetzt, weil die Arbeitsproduktivität (immerhin: die!) steigt und steigt? Und sollte das nicht auch für Energie und Ressourcen gelten können? Prinzipiell schon. Doch selbst dann, wenn sich entsprechende Investionen kurz- bis mittelfristig rechnen, und zwar für den Investor und nicht nur ideell (»Wir tun was für die Umwelt!«), sondern finanziell, selbst dann also, wenn es selbst für den skrupellosesten Geldsack hoch rational wäre, auf sparsamere Technik zu setzen, weil er massig Geld spart, sprich: verdient, bleiben diese Investitionen oft aus.
Wie kommt‘s? Etwaige soziale Restskrupel ergeben auf die Energie bezogen keinen Sinn: »Wir können sie nicht rausschmeißen. Diese Kilowattstunde arbeitet schon seit 42 Jahren in unserem Betrieb, war nie krank oder gar Gewerkschaftsmitglied« – nun ja.
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Es könnte so einfach sein: Meist würde es schon reichen, die aktuell auf dem Markt übliche Technik zu implementieren, berichtet ein Insider. Die Einsparpotenziale seien erheblich. Doch herrsche in deutschen Chefetagen »eine relativ große Unkenntnis trotz allem Getrommel«. Beispielsweise könnte, wenn alle Leckagen in den Druckluftanlagen deutscher Firmen geflickt würden, der Stromverbrauch einer Millionenstadt eingespart werden.
Auch bei Rohstoffen könnten die Herren Chefs und Manager gutes Geld machen: »Die deutsche Wirtschaft könnte jedes Jahr eine Milliardensumme sparen, wenn sie Rohstoffe effizienter nutzen würde«, überschrieb die »Frankfurter Rundschau« vor einigen Jahren einen Artikel (da ist er noch zu finden). Es geht um Summen im dreistelligen Milliardenbereich, glaubt man den zitierten Experten. Durch die bessere Nutzung von Ressourcen könnte zudem eine Million Arbeitsplätze entstehen. Und es ist oft nicht wirklich kompliziert: »Das Deutsche Herzzentrum in München investierte 5000 Euro in eine bedarfsgerechte Steuerung der Klima- und Lüftungsanlage, und spart nun jährlich 50 000 Euro.«
Offenbar wird unsere Wirtschaft von Ignoranten regiert. Dabei beschäftigt sich die Wissenschaft von der Wirtschaft doch offiziell mit dem rationalen Umgang mit knappen Gütern...
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Doch selbst wenn alle profitablen Sparquellen erschlossen würden, bliebe eine ungelöste Aufgabe: Brummen Wirtschaft und Zweit-Kühlschrank, sind alle Effizienzfortschritte für die Katz. Dann überkompensiert die Mehrnutzung von stromfressenden Maschinen alle Effizienzfortschritte beim einzelnen Gerät. Rebound-Effekt wird dieses Phänomen genannt.
Besonders paradox: Mitunter macht effizientere Technik ein Produkt überhaupt erst erschwinglich für viele. Eine wichtige Voraussetzung für die Mutation zum Massenprodukt. Und damit: Für mehr Verbrauch – auch von Energie und Rohstoffen.
Auch die abstrakte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (vulgo: »Wirtschaftswachstum«) bereitet weiterhin mehr Probleme als sie zu lösen vorgibt.
»Fast fünf Prozent mehr Primärenergie als im Vorjahr wurde 2010 in Deutschland verbraucht«, konstatiert die Zeitschrift »ENERGIE-Perspektiven«. Das sei »beinahe soviel wie vor dem konjunkturellen Einbruch«. Zwei Drittel des Mehrverbrauchs entfiele »auf kohlenstoffhaltige Energieträger«. Die bekanntlich das Klima belasten. Generell nehme in industrialisierten Regionen wie Europa der Stromverbrauch »weiterhin zu«, so das vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik herausgegebene Magazin einige Jahre zuvor. Und zwar steige er »in etwa entsprechend dem Wirtschaftswachstum, abgeschätzt durch das Bruttosozialprodukt«. Das ergäbe sich »jenseits aller Mutmaßungen« aus den nüchternen Zahlen.
Die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch? Oft wird sie gefordert. Sie ist und bleibt indes graue Theorie.
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