Antiterror-Einheit »Beredskapstroppen«
Justizminister und Polizei weisen Kritik zurück, doch viele Fragen bleiben
Zur Terrorismusbekämpfung verfügt Norwegens Polizei seit 1975 über die Sondereinheit »Beredskapstroppen« (Bereitschaftstruppe – BT). Nach ihrem Funknamen ist sie auch als »Deltatroppen« bekannt. In Oslo stationiert, hat die Truppe eine Personalstärke von 70 Mann, darunter eine Stabseinheit und mindestens sechs Einsatzteams zu jeweils fünf Mann.
Eine Hälfte der Einheit ist ständig in Alarmbereitschaft, alle Beamten haben eine Fallschirmjägerausbildung, einige können auch als Taucher eingesetzt werden. Als Trainingsgelände nutzt die BT das Militärlager in Rena nördlich von Oslo. Dort wohnte auch Attentäter Anders Behring Breivik und ging seinem Schießsport nach. Bisher ist nicht bekannt, ob Breivik mit BT-Angehörigen auch schon persönlichen Kontakt hatte.
Die Einheit trainiert oft ihr Zusammenwirken mit dem Spezialkommando der Streitkräfte (Forsvaret Spesialkommando – FSK). Und sie hält enge Kontakte zu Antiterror-Einheiten anderer Staaten, insbesondere zur niederländischen B.B.E. und der deutschen GSG 9.
Die »Beredskapstroppen« ist mit starken geländegängigen Fahrzeugen ausgestattet und verfügt über High-Speed-Schlauchboote. Jederzeit stehen ihr die sechs Hubschrauber Bell 412 SP Arapaho der »720. Skvadron« der norwegischen Luftwaffe zur Verfügung. Die Helikopter – jeder kann bis zu acht Mann transportieren – sind auf dem Fliegerhorst Rygge 50 Kilometer südlich von Oslo stationiert.
Diese Möglichkeiten stehen in auffälligem Gegensatz zum tatsächlichen Einsatz am vergangenen Freitag: Nachdem er seine Autobombe im Regierungsviertel geparkt und den Zeitzünder eingestellt hatte, war der Attentäter mit einem Lieferwagen zur Insel Utøya, rund 40 Kilometer westlich von Oslo, gefahren. Nach Aussagen von Urlaubern auf dem nahen Campingplatz Utvica begann das Massaker zwischen 16.40 und 17.00 Uhr. Genaueres konnten Befragte nicht sagen, da sie sich zunächst der Gefährlichkeit der Knallerei nicht bewusst gewesen waren.
Mehrere Jugendliche versuchten, die Polizei per Notruf zu alarmieren. Allerdings wies sie der Dispatcher ab: Wenn ihr Anruf nichts mit dem Anschlag in Oslo zu tun habe, sollten sie die Leitung nicht blockieren. Erst um 17.27 Uhr traf – nach offiziellen Angaben – der erste Notruf bei der Polizei in Hønefoss ein. Offensichtlich funktionierte das Alarm- und Mobilisierungssystem nicht reibungslos. Wann die BT alarmiert wurde, ist bisher nicht bekannt. Die Sondereinheit versuchte zunächst, einen Helikopter aufzutreiben. Oslos Polizeichef Anstein Gjengedal behauptete am Montagmorgen, der einzige Polizeihubschrauber sei nicht einsatzfähig gewesen, weil die Besatzung im Urlaub war, und der einzig verfügbare Militärhubschrauber sei zu weit entfernt gewesen. Anzumerken ist: Bei dem Polizeihelikopter handelt es sich um einen Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber, der beispielsweise zur Verkehrskontrolle eingesetzt wird, zur Terrorbekämpfung aber unbrauchbar ist. Und die Behauptung, es habe nur ein Militärhubschrauber zur Verfügung gestanden, ist zweifelhaft, da in Rygge immerhin sechs Bell 412 SP stationiert sind. Was war mit den anderen fünf?
Und warum hatte die Militärführung nach dem Anschlag im Regierungsviertel um 15.26 Uhr die Hubschrauber nicht schon näher an die Hauptstadt herangeführt? Es war doch zu erwarten, dass die Antiterror-Einheit zum Einsatz kommen würde, wofür Militärhubschrauber benötigt worden wären.
Die Sondereinheit rückte jedenfalls um 17.38 Uhr per Auto nach Utøya aus. Die Polizei hat die Darstellung der Zeitabläufe seither mehrfach geändert. Mal will sie 30 Minuten nach Beginn des Massakers am Tatort eingetroffen sein, mal erklärt ein Polizeisprecher, das Massaker habe 90 Minuten gedauert, am Dienstag schließlich wurde verkündet, der Attentäter sei genau eine Stunde nach dem ersten Notruf festgenommen worden.
Vergleicht man verschiedene Angaben, ergibt sich: Die Sondereinheit kam um 18.09 Uhr am Tyrifjord an. Drei oder vier Minuten später verfügte sie über ein Boot, das die lokale Polizei inzwischen beschafft hatte. Damit setzte man zur Insel über, allerdings fiel der Motor unterwegs aus. Um 18.25 Uhr stürmte das Kommando die Insel, wo sich der Attentäter zwei Minuten später ohne Widerstand festnehmen ließ.
Demnach hatte der Mörder eineinhalb Stunden Zeit, um wehrlose Jugendliche zu ermorden. In welchem Maße der verzögerte Polizeieinsatz mitverantwortlich war für die hohe Zahl an Todesopfern, bleibt aufzuklären.
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