Pfusch beim AKW-Bau
Subunternehmen im französichen Flamanville unterbieten Preise und vertuschen Pannen
Der Bau an der Küste der Normandie unweit der Aufbereitungsanlage La Hague hat 2007 begonnen und sollte 2012 abgeschlossen sein. Geplante Kosten des von Areva entwickelten Druckwasserreaktors der »dritten Generation«: 3,3 Milliarden Euro. Nachdem der Termin zunächst auf 2013 und dann auf 2014 hinausgeschoben wurde und die Kalkulation erst auf vier und dann auf fünf Milliarden Euro kletterte, wurde jetzt bekannt, der erste Strom wird nicht vor 2016 fließen und der Bau dann sechs Milliarden Euro gekostet haben.
Begründet wird dies mit den Dimensionen des aus Sicherheitsgründen extrem massiven Bauwerks, bei dem doppelt soviel Beton und viermal soviel Stahl verbaut wird wie bei einem herkömmlichen Atomkraftwerk. Es gab aber auch viele – jetzt als »Kinderkrankheiten« heruntergespielte – technische Komplikationen. Dadurch schnellte der Arbeitszeitaufwand von ursprünglich geplanten vier Millionen Arbeitsstunden auf 15 Millionen hoch.
Nur ungern wird eingeräumt, dass auch ungewöhnlich viele Unfälle zu den Verzögerungen beigetragen haben. Im Januar diesen Jahres hatten die Sicherheitsbehörden nach einem tödlichen Sturz eines Arbeiters einen dreimonatigen Baustopp erzwungen. Seit Jahresbeginn sind in Flamanville schon zwei Arbeiter zu Tode gekommen, zahlreiche weitere Unfälle wurden vertuscht. Das musste auch die Atomsicherheitsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) in einem Anfang Juni erstellten und jetzt bekannt gewordenen Bericht feststellen. Danach wurden auf der Baustelle im vergangenen Jahr 112 Unfälle – 74 leichte und 38 schwerere – nicht registriert und den Behörden gemeldet.
Der Hauptauftragnehmer, der Baukonzern Bouygues, schiebt die Schuld den Mitarbeitern der Sanitätsstelle in die Schuhe, die angeblich die Anweisungen über die Meldung von Unfällen nicht einhielten. »Die Vertuschung ist seit Jahren symptomatisch«, erklärt CGT-Betriebsrat Jack Tord. Schon oft hätten die Gewerkschaften den Energiekonzern EDF als Bauherrn darauf aufmerksam gemacht und immer habe dieser geantwortet, man vertraue den Angaben von Bouygues. Der Druck, den der Baukonzern auf seine zahlreichen Subunternehmen – darunter besonders viele aus Osteuropa – ausübt und den diese an ihre Beschäftigten weitergeben, führt Betriebsrat Tord zufolge dazu, dass »die Arbeitsschutzbestimmungen nicht eingehalten und die meisten Unfälle nicht gemeldet werden, weil die Betroffenen nicht ihre Prämie oder gar ihren Arbeitsplatz verlieren wollen«.
EDF lässt aber auch 80 Prozent der Reparaturen und Unterhaltungsarbeiten an seinen 58 Reaktoren in den 19 Atomkraftwerken durch mehr als 100 große und kleine private Dienstleistungsfirmen ausführen, die einander bei den Preisen unterbieten. Diese beschäftigen zusammen rund 20 000 Mitarbeiter, die kaum mehr als den Mindestlohn SMIC verdienen. Sie sind ganz nach Bedarf oft Hunderte von Kilometer entfernt von zu Hause im Einsatz. Dort müssen sie die gefährlichsten Arbeiten verrichten, bei denen sie nicht selten in wenigen Monaten die Strahlungsmenge abbekommen, die ein EDF-Mitarbeiter nur in seinem ganzen Berufsleben ansammeln darf. Kontrolliert wird mit dem Dosimeter, und wer zu viel Strahlung angesammelt hat, bekommt die Entlassungspapiere. Entsprechend wird ständig nach neuen Mitarbeitern gesucht – mehr als in jeder anderen Branche. Immer öfter machen sich die Betroffenen über die Langzeitwirkungen Gedanken. Wenn solche Arbeiter nach Jahren Krebs bekommen, haben sie große Schwierigkeiten und müssen oft erst klagen, damit eine Berufskrankheit anerkannt wird. Ein Arbeitsmediziner meint, wie seinerzeit beim Asbest werde man erst in 30 Jahren erkennen, was hier für ein Raubbau an der Gesundheit betrieben wurde. »EDF und die Subunternehmen schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu«, meint ein Betroffener bitter, »und die Leidtragenden sind wir«.
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