Syrien bleibt im internationalen Fokus
Vorerst keine Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen das nahöstliche Land
Der syrische Verteidigungsminister Ali Habib Mahmud darf nicht mehr in die EU einreisen. Sollte er dort Konten haben, sind sie nun eingefroren. Was die Europäische Union am Dienstag als Strafmaßnahme gegen Syrien verkündete, ist nicht sonderlich dramatisch, allerdings macht hier vor allem der Ton die Musik. Schon seit Jahren läuft ein nicht erklärter diplomatischer und Wirtschaftsboykott gegen Syrien, in Gang gekommen auf Druck der USA und Israels.
Begründet wurde die faktische Ächtung der Damaszener Regierung heute damit, dass diese »Gewalt gegen das eigene Volk« ausübe, wie es Kanzlerin Angela Merkel am Montag ausdrückte. Bis zu diesem Jahr war Syrien stets vorgeworfen worden, es zähle zu den »Unterstützern des internationalen Terrorismus«. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt. Tatsächlich verbirgt sich hinter der Stigmatisierung, die ihre Pentagonherkunft kaum verleugnen kann, vor allem der Unmut, dass Syrien weiter gute Beziehungen zu Iran pflegt und sich auch der US-amerikanischen Nahoststrategie bisher nicht unterzuordnen gedachte.
Völkerrechtlich abstrafen konnte man Syrien damit nicht. Aber die Karten an dieser Front werden gerade neu gemischt. Das komplizierte Kräftegleichgewicht, welches die Macht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bislang garantierte, ist ins Wanken geraten. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von verfehlter Wirtschaftsliberalisierung bis zu einem Wiedererstarken radikal-islamischer Kräfte im säkular geprägten Syrien.
Wenn Assad tatsächlich in dem Umfang schwere Waffen gegen die Muslim-Brüder einsetzen ließ, wie diese es behaupten, hat er nicht nur Verbrechen begangen oder geduldet, sondern dann dürfte er auch in den bisher loyalen Teilen der Bevölkerung erheblich an Rückhalt verloren haben. Das ist die eigentliche Gefährdung jener nahöstlichen Staatsordnung, die bislang am wenigsten religiös geprägt war. Sanktionen der UN, die, wenn sich die Massakervorwürfe erhärten, durchaus berechtigt sind, könnten den bereits schwer bedrängten Assad tatsächlich aus dem Amt kegeln.
Im Falle Ägyptens haben die US-Amerikaner ebenso wie Deutschland immer wieder vor einem »zu schnellen Abgang« des wankenden Präsident gewarnt, weil dies die für den Westen bisher nicht berechenbaren Muslim-Brüder an die Macht hieven könnte. In Syrien sind sie offenbar bereit, dies in Kauf zu nehmen. Hauptsache, der unbotmäßige Assad wird gestürzt.
Das deutsche Vorgehen – Berlin brachte mit Portugal den Antrag zu Syrien im Sicherheitsrat ein – erweckt einerseits den Eindruck einer Verbeugung gegenüber den Kritikern der Nichtteilnahme am Luftkrieg über Libyen. Andererseits schwadroniert Merkel noch nicht vom Sturz Assads wie die Amtskollegen in Paris und Rom.
Dennoch hat die LINKE recht, wenn sie die deutsche Syrien-Politik für ungenügend hält. Gerade Deutschland könnte, weitgehend unbelastet von kolonialer und neokolonialer Vergangenheit in der Region, zum Dialog zwischen der Regierung und einem Teil der Opposition beitragen. Es gibt nicht den geringsten Grund und schon gar keine moralische Rechtfertigung so zu tun, als müsse nun alles schicksalhaft auf eine Entscheidungsschlacht in Syrien hinauslaufen.
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