Eine Spur der Verwüstung

Verheerendes Unwetter forderte sieben Todesopfer/Zwei Kinder starben auf Zeltplatz

  • Lesedauer: 4 Min.
Sieben Todesopfer, Dutzende Verletzte und Sachschäden in Millionenhöhe sind die erschütternde Bilanz des verheerenden Unwetters, das am Mittwochabend über weite Teile Nord- und Ostdeutschlands hinwegfegte. Bäume wurden entwurzelt, Dächer abgedeckt, Bahnlinien und Straßen unterbrochen.
Am schlimmsten wütete das Sturmtief »Anita« in Berlin und Brandenburg. Die Meteorologen sprachen vom schwersten Sturm seit 30 Jahren. Die Orkanböen erreichten Spitzengeschwindigkeiten von 152 Kilometer pro Stunde. Von umstürzenden Bäumen und umherwirbelnden Ästen wurden in Berlin vier, in Brandenburg drei Menschen tödlich getroffen, mindestens 47 verletzt, die meisten davon in der Hauptstadt.

Tragödie am Wannsee
Besonders tragisch: Auf einem Jugendzeltplatz auf der Wannsee-Insel Schwanenwerder in Berlin erschlugen abgeknickte Bäume zwei Jungen im Alter von 14 und 16 Jahren. Die beiden Jugendlichen aus Köpenick und Frankfurt/Main nahmen an einem fünftägigen Feriencamp mit rund 150 Angehörigen von Jugendfeuerwehren aus ganz Deutschland teil. Weitere zwölf Jugendliche und ein Betreuer wurden verletzt. Nach verschiedenen Unwetterwarnungen waren die Zelte überprüft und die Kinder in eine feste Unterkunft auf der Insel gebracht worden. Die zwei Jungen waren aus unbekannten Gründen noch in den Zelten, erklärte Landesbranddirektor Albrecht Broemme. Schon vor Beginn des Zeltlagers sollen die Bäume vom Gartenbauamt inspiziert worden sein. Der Sturm stürzte jedoch acht von ihnen um. Die Rettungsarbeiten wurden durch quer liegende Stämme auf der Zufahrtstraße zu der Insel erschwert. Hilfskräfte konnten nur mit Booten übersetzen, um die Verletzten zu bergen. Erst nach Mitternacht war die Zufahrt passierbar. Rettungshunde suchten zur Sicherheit noch in der Nacht nach eventuellen Opfern, obwohl laut Feuerwehr niemand vermisst wurde.
Der Tragödie knapp entgangen sind 17 New Yorker Halbwaisen, die beim Terroranschlag am 11. September einen Elternteil verloren hatten und sich gegenwärtig in Berlin erholen. Sie waren in Begleitung der Berliner Feuerwehrchefs auf die Insel gekommen, verließen diese mit ihm aber kurz vor dem Unwetter wieder.
Zwei weitere Todesopfer gab es in Berlin-Pankow, wo ein 40-Jähriger von einem abgerissenen Ast getötet, und in Berlin-Reinickendorf, wo ein 60-Jähriger von einem Baum erschlagen wurde.
Die Feuerwehr hatte gegen 20.15 Uhr den Ausnahmezustand verhängt und musste bis zum Morgen über 2000 sturmbedingte Einsätze fahren. Insgesamt stürzten in Berlin rund 1500 Bäume um. Der Bahn- und der S-Bahnverkehr war teilweise erheblich beeinträchtigt. Die Stadtbahn wurde gesperrt, auch bei der U-Bahn kam es zu Ausfällen. Abschnitte der Stadtautobahn konnten wegen umgestürzter Bäume zeitweilig nicht befahren werden. Der Flughafen Tegel war für eine halbe Stunde geschlossen.

Flugzeug notgelandet
In Brandenburg kamen bei dem Unwetter drei Menschen ums Leben. In Mühlenbeck bei Oranienburg wurde ein 18-jähriger Mann unter einem Carport, auf den ein Baum stürzte, getötet. Von einem auf ihr Auto stürzenden Baum erschlagen wurden auch eine 25-jährige Autofahrerin bei Seelow, ein 45-jähriger Mann wurde bei Storkow von einem Ast tödlich getroffen.
Glimpflich verlief die Notlandung eines Passagierflugzeugs nordöstlich von Berlin. Die zweimotorige Propellermaschine der Airline Crossair war auf dem Weg von Basel nach Hamburg. An Bord waren 16 Passagiere und vier Mann Besatzung. Wegen des Unwetters musste die Maschine fünf Mal umgelotst werden, so dass sie dann wegen Treibstoffmangels auf dem Regionalflughafen in Werneuchen landen musste. Durch Hindernisse auf dem Boden nahmen Fahrwerk und Propeller schwere Schäden. Die geschockten, jedoch unverletzten Passagiere wurden in einer nahe gelegenen Mehrzweckhalle untergebracht und versorgt.
Großen Schaden richteten Sturm und Niederschläge auch beim Luftschiffbauer CargoLifter an. Dort wurde die Hülle des bislang einzigen Prototyps für den Transportballon CL 75 zerstört. Über die Höhe des Schadens und die Dauer möglicher Reparaturarbeiten konnten noch keine Angaben gemacht werden. Die riesige Montagehalle von Cargolifter blieb von dem Unwetter verschont, Menschen wurden nicht verletzt.

Blitz schlug in Dom
In den anderen Bundesländern hielten sich die Schäden vergleichsweise in Grenzen. In Sachsen wurden ein vierjähriges Mädchen in Kriebstein von einem Baum getroffen und musste mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine 45-jährige Frau in Marienberg erlitt eine Rauchgasvergiftung, als ihr Haus vom Blitz in Brand gesetzt wurde. Die Deutsche Bahn musste in der Nähe von Dresden und Leipzig Notbusse einsetzen, nachdem Bäume auf Gleise gefallen waren. In Leipzig stürzte ein leer stehendes Haus ein.
In Greifswald schlug der Blitz in den Glockenturm des Doms ein. Der Brand konnte aber schnell gelöscht werden. Ein Autofahrer hatte gesehen, wie der Blitz einschlug und die Feuerwehr alarmiert. Die Hansestadt Stralsund war am Donnerstagmorgen nicht mit dem Zug zu erreichen, da das Schienennetz blockiert und Oberleitungen zerrissen waren. Umgestürzte Bäume fielen auf Dutzende Autos und auf einen Kindergarten auf der Insel Poel. Zehntausende Haushalte waren zeitweise ohne Strom.
Nicht nur an Land, auch auf hoher See sorgten die entfesselten Naturgewalten für bedrohliche Situationen. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger rettete in der Nacht rund 60 Menschen aus Seenot. (ND/Agenturen)
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