Zusätzliche Beiträge drohen auch in der Pflege
Pflegekräfte kündigen bundesweite Protestdemonstrationen an
»Wir wollen die Pflegeversicherung um eine sogenannte kapitalgedeckte Säule ergänzen«, erklärte Daniel Bahr am Wochenende der »Bild«-Zeitung. Ein alter Hut ist damit wieder in den Ring geworfen, den sich schon vor Monaten kaum jemand im Gesundheitssystem mehr aufsetzen wollte. Kapitalfinanzierung heißt Abschied aus der Parität, genau wie es bereits in der Gesetzlichen Krankenversicherung funktioniert.
Von Entsolidarisierung spricht die Grüne Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin ihrer Bundestagsfraktion für Pflege- und Altenpolitik, und Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), warnt davor, die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Der SoVD fordert für die Pflege eine Bürgerversicherung, die alle Einkommensarten der Versicherten berücksichtigt und eine verlässliche Absicherung der Pflegekosten möglich macht.
Währenddessen hat die Linkspartei – ebenfalls eine Verfechterin der Bürgerversicherung – die Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie mitgeteilt, der zufolge der Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung um rund ein Drittel auf 10,5 Prozent sinken könnte, wenn alle Bürger einbezogen und alle Einkommen in voller Höhe berücksichtigt würden. Derzeit beträgt der einheitliche Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung 15,5 Prozent. Dies wäre möglich, obwohl gleichzeitig alle Zuzahlungen, die Praxisgebühr und die Zusatzbeiträge der Versicherten abgeschafft würden. Der Satz von 10,5 Prozent würde mindestens bis 2020 stabil bleiben. Für die Pflegeversicherung wäre unter den Bedingungen der Bürgerversicherung trotz einer Erhöhung der Leistungen um ein Viertel eine Senkung des Beitrags von heute 1,95 Prozent auf 1,6 Prozent möglich. Er könnte dann auch langfristig unter zwei Prozent gehalten werden. Grundlage der Berechnungen ist die Absicherung aller Bürger in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Die privaten Kassen werden auf Zusatzversicherungen beschränkt. Zudem sollen nicht nur Löhne mit Beiträgen belegt werden, sondern auch Kapitaleinkünfte oder Mieteinnahmen.
Gesundheitsminister Bahr wolle die Kosten besserer Pflege allein auf die Versicherten abwälzen, glaubt Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der LINKEN. Die geplante Einführung einer kapitalgedeckten Säule sei nichts anderes als die Kopfpauschale in der Pflege. Bahr sorge sich allein um Versicherungswirtschaft und Arbeitgeber, so die linke Pflegeexpertin Kathrin Senger-Schäfer.
Der FDP-Minister will im September die Eckpunkte für die geplante Pflegereform vorlegen. Ob diese angesichts der Widerstände noch vor der Bundestagswahl 2013 umgesetzt wird, ist aber fraglich. Der Vorsitzende des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, hat aus Enttäuschung über die Pflegepolitik bundesweite Proteste von Pflegekräften angekündigt. Die Regierung habe 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen, aber es sei nichts passiert. Er kündigte für die kommende Woche eine Demonstration in Kiel gegen die Verschlechterung der Versorgung in der Pflege an.
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