Die Zulässigkeiten und die Grenzen
Nebentätigkeiten trotz Vollzeitarbeit (Teil 1)
Die Gründe für Nebentätigkeiten sind unterschiedlich. Sie reichen von zeitweiligen Zuverdiensten wegen familiärer finanzieller Engpässe oder höherer Ausgaben bis zur notwendigen Absicherung des eigenen oder familiären Lebens.
Obschon weit verbreitet, gibt es leider keine spezielle gesetzliche Regelung von Grundsatz und Einzelheiten zur Nebentätigkeit. Die Folge sind oftmals Rechtsunsicherheiten, die im Laufe der Jahre durch höchstrichterliche Entscheidungen reduziert werden konnten. Dank dieser stabilen Rechtsprechung kann heute von einer allgemein geklärten Rechtslage ausgegangen werden.
Der Grundsatz
Eine Nebentätigkeit ist grundsätzlich zulässig. Der Arbeitnehmer darf sie übernehmen und ausführen. Das ergibt sich aus nicht Geringerem als aus Artikel 2 Grundgesetz (GG), wonach jeder das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung hat, womit auch das Recht auf freie Berufswahl und Berufsausübung nach Art. 12 GG verbunden ist. Bezogen auf die Nebentätigkeit von Arbeitnehmern heißt das, dass ein allgemeines Verbot in Arbeits- und Tarifverträgen nicht zulässig ist.
Gleichwohl sind Schranken gesetzt, denn die Ausübung eines Rechts darf das Recht eines anderen nicht einschränken oder gar beseitigen, beziehungsweise gesetzlich geregelte Rahmenbedingungen überschreiten. So entschied auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Grundsatzurteil, »... dass ein Rechtsanspruch (auf Nebentätigkeit) besteht, sofern die in Aussicht genommene Nebentätigkeit nicht die zu berücksichtigenden Rechte des Arbeitgebers verletzt« (BAG-Urteil vom 13. März 2003, Az. 6 AZR, 585/01).
Die Unübersichtlichkeit der Rechtsquellen für Nebenjobs ergibt sich aus der Tatsache, dass sie im Grunde aus allgemeinen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und vor allem aus den Gerichtsentscheidungen herzuleiten sind, von den Verfassungsgrundsätzen einmal abgesehen.
Jedenfalls gibt es eine Menge Rechtsgrundlagen, so dass es nicht verwundert, wenn Arbeitnehmer und ihre Chefs unsicher sind in der Anwendung geltenden Rechts. So steht immer noch in Arbeitsverträgen, dass »jegliche Nebentätigkeit untersagt« ist, oder die Ausübung des Nebenjobs wird allgemein von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängig gemacht.
So kommt es auch bei Nebentätigkeiten weiterhin zu Gerichtsentscheidungen zur Klärung der Rechtslage. Unlängst entschied das BAG in einem Fall, dass eine Arbeitnehmerin, die bei der Deutschen Post als Briefsortiererin tätig war und als Nebentätigkeit bei einer anderen Zustellerfirma Zeitungen zustellte, der Nebenjob nicht untersagt werden darf. Die Arbeitnehmerin – so das BAG – sei nicht als Briefzustellerin tätig. Es liege also keine Wettbewerbstätigkeit vor und schutzwürdige Interessen der Deutschen Post seien nicht beeinträchtigt (BAG-Urteil vom 24. März 2010, Az. 10 AZR 66/09).
Dagegen hatte ein Krankenpfleger Pech, der in einem Krankenhaus als Pfleger tätig war und eine Nebenbeschäftigung als Leichenbestatter aufnehmen wollte. Das Krankenhaus untersagte diesen Nebenjob, weil seine Interessen erheblich beeinträchtigt würden und er dem Image schaden würde. Zu Recht, sagte das BAG und bestätigte das Verbot des Arbeitgebers (BAG-Urteil vom 28. Februar 2002, Az. 6 AZR 357/01).
Kann ein Tarifvertrag ein allgemeines Nebentätigkeitsverbot für die tarifgebundenen Arbeitnehmer einer Branche festlegen? Auch hier hat das BAG in mehreren Entscheidungen Grundsätze entwickelt und Grenzen gesetzt. Solche Verbotsregelungen sind danach gerechtfertigt, wenn die Nebentätigkeit das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) mit seiner Höchstarbeitszeit überschreitet, durch die Nebentätigkeit dem Arbeitgeber Konkurrenz gemacht wird oder die Arbeitsleistung im Hauptarbeitsverhältnis unter der Doppelbelastung sichtbar leidet. Demzufolge erklärte das BAG ein tarifvertragliches Verbot von Nebentätigkeiten für Busfahrer in Vollzeit für rechtens, wenn die Nebentätigkeiten mit Kfz-Lenken verbunden ist (BAG-Urteil, Az. 9 AZR 943/00).
Allein schon diese Beispiele zeigen die Vielfalt der Problematik, aber auch, in welche Richtung die Grenzen gesetzt sind.
1. Die Beachtung des ArbZG
Die Nebentätigkeit eines Arbeitnehmers darf grundsätzliche Regelungen des ArbZG nicht ignorieren. Gerade hier kommt es oft zu Gesetzesverletzungen durch höhere Arbeitszeiten als erlaubt, so dass der Arbeitszeitschutz des Arbeitnehmers hinfällig ist.
Nach § 3 ArbZG beträgt die gesetzliche Höchstarbeitszeit acht beziehungsweise zehn Stunden werktäglich. Mithin muss der Nebenjob zusammen mit dem Hauptjob sich innerhalb der 48- oder 60-Stundenwoche (Montag bis Samstag) bewegen.
Nun ist die Arbeitszeitgestaltung sehr vielfältig. Der Arbeitnehmer kann täglich, je nach Dauer seiner Arbeitszeit im Hauptarbeitsverhältnis, im Nebenjob die Arbeitszeit bis zur achten oder zehnten Stunde nutzen. Die Stunden bis zur Höchstarbeitszeit können auch zusammen samstags geleistet werden.
Beachtlich ist weiterhin, dass die im § 5 ArbZG festgelegte Ruhezeit zwischen zwei Schichten von mindestens elf Stunden einzuhalten sind. Werden diese Arbeitszeitbestimmungen durch den Nebenjob verletzt, darf der Arbeitgeber die Übernahme oder Fortsetzung der Nebentätigkeit verbieten. Lässt der Arbeitgeber die Gesetzwidrigkeiten zu, drohen ihm Bußgelder, die die kontrollierenden Arbeitsschutzämter verhängen können.
2. Haupttätigkeit und Leistungsfähigkeit
Jeder Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten im Hauptarbeitsverhältnis ordnungsgemäß zu erfüllen, besonders seine Leistungsfähigkeit auszuschöpfen. Die hauptsächliche Arbeitspflicht darf nicht vernachlässigt werden. Er ist zwar nicht verpflichtet, ständig Höchstleistungen zu erbringen, aber in einem Rechtsstreit entschied das BAG, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, »... ihre persönliche Leistungsfähigkeit voll auszuschöpfen« (BAG-Urteil vom 27. November 2008, Az. 2 AZR 675/07).
Das Gericht gab in dem Fall dem Arbeitgeber Recht, der von seinem Mitarbeiter die sofortige Beendigung der Nebentätigkeit forderte, weil der Arbeitnehmer in seinen Leistungen spürbar nachließ. Ist der Arbeitnehmer mit dem Zweitjob wegen der Doppelbelastung überfordert und bleibt er in seiner Haupttätigkeit mit seinen Leistungen zurück, kann der Arbeitgeber die Beendigung des Nebenjobs fordern.
Prof. Dr. JOACHIM MICHAS
Im Teil 2 nächste Woche geht es um Nebentätigkeiten als mögliche Konkurrenz und das Nebenjobben im Urlaub sowie um die Frage, ob eine Anzeigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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